Samstag, 12. Mai 2012

Bellingham, Vancouver und Vancouver Island

Wir waren also in Bellingham „gelandet“, im quirrligen, bunt gemischten Haus „Oasis“, das über einen grossen Garten und eine Schar eigene Hühner verfügt. Da wir unsere Bicis für die nächste grosse Etappe, Alaska, Yukon und Nothern Territories, fitmachen mussten, brachte Shana uns ins Zentrum zu einem grossen Veloladen mit Werkstatt. Abgesehen vom üblichen Service brauchte mein treues Zweirad vorne eine neue Felge und, wie der Mech meinte, ebenfalls eine neue Kette und ein neues Ritzel. Hä, ein neues Ritzel? Ich war etwas geschockt, dieses Ritzel sitzt seit San Diego dran und konnte meiner Meinung unmöglich schon so abgenutzt sein. Das alte war von San Pedro de Atacama bis San Diego gereist, und die Kette von Panama City bis in die Staaten. Der Mech war aber der Ansicht, dass eine neue Kette sehr wahrscheinlich mit diesem Ritzel nicht kompatibel wäre, was zu Problemen beim Schalten führen würde. Wie diese Probleme aussehen würden, kann ich mir nur allzugut vorstellen, war doch genau das passiert, als ich in Mendoza zum ersten Mal die Kette ausgetauscht hatte und sie danach im ersten Gang dauernd rausgefallen war. Was mich bei der Überquerung des Paso Jama beinahe zur Verzweiflung und in den Wahnsinn getrieben hatte. Sowas wollte ich natürlich überhaupt nicht riskieren und so stimmte ich wohl oder übel dem teuren neuen Material zu. 

Martina fuhr zwei Tage früher als ich nach Vancouver, ich verbrachte die restlichen Tage mit Matte waschen, in der Stadt umherwandern und einem Besuch des Farmers Markets. Da ging ich mit Rowan und Shana hin und das war recht unterhaltsam. Erst mal waren da all die Stände der lokalen Bauern, Bäckereien und diversen Handwerkern. Besonders aufgefallen war mir ein Fruchtsaft-Stand, wo man seinen Saft per Veloantrieb selber mixten konnte, ganz nach dem Prinzip der BiciMachinas von MayaPedal in Guatemala. Dazu gab es natürlich musikalische und sonstige Unterhaltung aller Art. Bei einer der Bands war ein Bewohner der Oasis dabei, die von uns natürlich immer besonders viel Beifall erhielt. 

BiciMachinas auch in Bellingham.

Am 29. April morgens nahm ich dann den Zug nach Vancouver, der interessanterweise günstiger war als der Greyhound Bus. Als wir damals von Portland nach Seattle mussten, hatten wir auch den Zug abgecheckt und der war um einiges teurer gewesen. Was ich nun auch verstand, man hat massiv viel mehr Platz und die ganze Sache ist auch sonst viel konfortabler. Vor Verspätung ist aber auch Amtrak nicht gefeit. Das war mir in diesem Fall aber egal, verdutzt war ich erst, als wir in Vancouver am Bahnhof ankamen und die Gleise so total vergittert waren, dass man sich fragen musste, ob sich da in der Regel hunderttausende von illegalen Einwanderern oder sonstigen Schwerkriminellen einzuschleichen versuchen. Aber gut, irgendwie muss man ja sicherstellen, dass die Leute das korrekte Einreiseprozedere durchlaufen.

In Kanada erst mal hinter Gittern.

Da ich erst am 30. April zu meiner ehemaligen Gastfamilie konnte, verbrachte ich die erste Nacht in einem Hostel (länger in Bellingham zu bleiben, wäre nicht mehr so unterhaltsam gewesen. Gemäss dem Grenzbeamten war das kein so gutes Quartier, was mir aber nicht weiter aufgefallen wäre. Es lag gleich neben der Chinatown, wo ich mich am Nachmittag etwas umschauen ging. In Chinatown kanne ich eh nichts wirklich, einige der Orte in Downtown Vancouver, die ich sehr wohl kannte, hatten sich schon recht verändert. Vor allem standen da viel mehr glasige Hochhäuser als vor zehn Jahren. Zum Glück war das Wetter einigermassen freundlich, so konnte ich unbehelligt rumspazieren. 

Am Montag zügelte ich dann per Skytrain nach Burnaby, wo Billie, meine Gastmutter von meinem Sprachaufenthalt im Jahr 2002, und ihre inzwischen 21-jährige Tochter Sahar mich abholten. Die Freude, sich nach so langer Zeit wiederzusehen, war offensichtlich gegenseitig. Die Umgebung war mir aber fremd, da die Familie in der Zwischenzeit umgezogen war. Viel hatte ich für die kommenden Tage nicht geplant, Aktivitäten in Vancouver sind immer stark vom Wetter abhängig. So scheiterte denn auch mein Versuch, auf den Grouse Mountain, Vancouvers Hausberg, zu wandern, nicht weil es geregnet hätte, sondern weil der Weg anscheinend teilweise noch schneebedeckt und somit noch geschlossen war. Die Enttäuschung über die abgesagte Wanderung hielt sich aus zwei Gründen in Grenzen. Dass vom Gipfel aus wolkenbedingt wenig zu sehen gewesen wäre, war offensichtlich und die Erkältung, die ich in der Schweiz eingefangen hatte, und die mich nun seit Wochen treu begleitet hatte, hatte seit Kurzem eine Renaissance erlebt und so war mir gar nicht wirklich nach Bergsteigen zu Mute. Immerhin, das Reisli hatte mich aus dem Haus gebracht und Seabus (Passagierschiff von Nordvancouver ins Zentrum) fahren, machte trotzt allem Spass. 

Downtown Vancouver.

Wegen wenig Sonne und viel Regen waren die drei Tage in Vancouver also nicht sehr aktionreich. Da ich noch einiges zu bloggen hatte, belastete mich das schlechte Wetter aber nicht allzusehr. Und mit meiner Gastfamilie gab es auch immer wieder sehr interessante Unterhaltungen, langweilig war mir also nie. Am Freitag setzte mich mich dann aber, immer noch bei Regen, in einen Greyhound zur Horeshoe Bay, wo eine Fähre nach Nanaimo auf Vancouver Island fährt. Wie vorausgesagt, besserte sich das Wetter nun und man konnte auf der Fähre auch mal raus und sich darüber freuen, dass man nicht mit eigener Kraft gegen den Wind ankämpfen musste. Von Nanaimo aus ging’s per Island Express Bus weiter nach Port Alberni, das etwa auf halber Strecke nach Tofino liegt. Ich hatte die Destination meines kleinen Ausflügleins ziemlich willkürlich ausgewählt, so ungefähr nach dem Kriterium günstige Unterkunft und Wandermöglichkeiten. Die günstige Unterkunft hatte ich gefunden, die Wanderungen stellten sich, wie eigentlich häufig, als nicht ganz trivial heraus, wenn man kein Auto – oder Velo – hatte. Am Samstag war es aber tatsächlich sonnig und so unternahm ich den Versuch, zur Cathedral Grove zu hitchen, einem Stück Wald mit altem Baumbestand. Ganz einfach war das mit dem Hitchhiken nicht, aber mit der Hilfe eines netten Busfahrers und schliesslich einem netten Autofahrer, gelang es mir, mich zur Cathedral Grove durchzuschlagen. Dass Douglass Firs und Red Cedars nicht so riesig sind wie Redwoods war klar, aber ich wollte mich gerne einmal so lange ich wollte in einem solchen Wald aufhalten ohne den Stress, immer gleich wieder weiterzumüssen um den angepeilten Zeltplatz bald zu erreichen. Ich werde euch aber nicht mehr mit sich wiederholenden Fotos von immer gleich aussehenden Bäumen langweilen, schliesslich gab es auch sonst Interessantes  –  und Schockierendes  –  zu sehen. 

Red-breasted Sapsucker.
Perspektivenwechsel.
Wie bitte...!?!?

Dieser eher wenig anstrengende Ausflug zu den Bäume war genau richtig an jenem Samstag. Ich fühlte mich schlapp und hatte keine grosse Lust mit irgend jemandem zu reden oder weitere Strecken zu marschieren. Am Sonntag sah die Welt schon bedeutend besser aus, nicht nur in Bezug auf meine Laune, sondern auch auf das Wetter. Der Himmel war nun strahlend blau und nur am Horizont waren ein paar läppische Wölklein zu sehen. Ich hatte eine Wanderung zu einem Lookout geplant, was bei guter Sicht naturgemäss mehr Sinn macht. Zu Fuss unterwegs zu sein, hatte allerdings den Nachteil, dass ich erst gute zwei Stunden dem Highway entlang latschen musste, um überhaupt zum Wanderweg hinzukommen. Es ging bergauf und die Sonne heizte mich bald auf und auch im Schatten im Wald war es locker warm genug um nur im T-Shirt zu wandern. Ausser mir waren einige andere Leute unterwegs, wirklich nerven taten aber nur diese bekloppten vierrädrigen Motorräder, mit denen man heutzutage anscheinend sogar schon Familienausflüge unternimmt. Ausserdem war da noch ein Velorennen im Gange, aber ein etwas seltsames. Anscheinend war das ein Downhill-Rennen, wenn es bergauf ging, schoben alle ihre Räder. Verwundert fragte ich einen Teilnehmer, warum denn niemand bergauf strample und die Antwort war, die Velos seien zu schwer dafür. Ich fragte nicht nach dem Gewicht, aber ein Rennen, wo fast das gesamte Feld schob, fand ich schon etwas schräg. 

Schiebende Downhilleros.

Endlich oben, sah ich die ganze Schar Ciclistas beieinander, einige kamen auch gerade erst an. Der Hügel muss das Ziel gewesen sein, nach einem organisierten „Zieleinlauf“ sah das aber nicht aus und ob jemand die Zeiten stoppte, war nicht zu erkennen. Aber ok, ich muss ja auch nicht alles verstehen. Ich setzte mich in die Sonne und genoss die Aussicht. D.h., das, was man sah, war mehrheitlich die Stadt unten im Tal. Klar, und die umliegenden Hügel, die hübsch und teilweise noch schneebedeckt, aber sonst nicht weiter beeindruckend waren. Unten im Tal war der dunkle Wald vielerorts durch Holzschlag abgeschabt, was wie so oft, ziemlich tragisch aussah. Ich hatte eigentlich geplant, noch eine weitere Wanderung anzuhängen, fand es da oben aber so friedlich, dass ich mich mit einem Buch hinter einige Bäume und Büsche verzog und erst mal nirgendwohin weiterging. Auf dem Rückweg ging’s bergab und somit etwas schneller, aber längeres Gehen auf Asphalt und entlang Strassen ist nun mal wenig motivierend und so fühlte ich mich recht kaputt als ich wieder beim Hostel ankam. Im Haus war es kalt wie immer aber der nette Besitzer hatte mir schon gleich nach meiner Ankunft als er meine Erkältung bemerkt hatte Pfefferminze, Zitronenmelisse und sonst noch etwas aus dem Garten gebracht und der Tee gab nicht nur warm sondern eliminierte auch recht effizient meinen Husten.

Am nächsten Morgen stieg ich in den 10.30 Uhr Bus zurück nach Nanaimo und von dort aus per Fähre und nochmals per Bus nach Vancouver. Auch auf dem Festland war es immer noch sonnig und so machte gemätliches Sight Seeing bedeutend mehr Spass. Da gab es zum Beispiel so komische Dinge wie  eine "Steam Clock" zu sehen oder das Gerüst oder Monument oder wie man das Ding auch immer bezeichnen will, wo im Februar 2010 die Olympische Flamme gebrannt hatte.

Steam Clock.
Da oben hatte die Olympische Flamme gebrannt.

Allzubald hiess es aber schon wieder Abschied nehmen. Ich hatte die paar Tage bei meiner Gastfamilie sehr genossen und das "goodby" hier fiel mir um einiges schwerer als daheim "tschüss, bis bald" zu sagen. Wer weiss, wann es mich zum nächsten Mal nach Vancouver nach Vancouver verschlägt.

Billie und Sahar, Nizam war leider schon weg.

Billie, Nizam and Sahar, thank you so much for letting me stay with you, for all your kindness and care, the good food, the interesting talks and, of course, for the magic raisins:-).

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