Anlässlich unseres zweiten und letzten Abends in Tok sind wir in ein für uns teures Restaurant gegangen, den Fast Edy's. Grund für dieses unorthodoxe Verhalten war die All-You-Can-Eat Saladbar, die es dort gab, wobei wir es natürlich nicht beim Salat beliessen, sondern dazu noch eine fette Portion Lasagne verdrückten. Danach waren wir so voll, dass wir kaum mehr die paar Minuten nach Hause pedalen konnten. Trotzdem standen wir am Samstag Morgen wie üblich um 7 Uhr auf und fuhren kurz vor 9 Uhr los. Die rund 18 km auf dem Alaska Highway waren flach, ringsum grün und insgesamt nicht sonderlich interessant. Als wir zur Abzweigung zum Taylor Highway kamen, änderte sich zuindest die Topographie.
Nun ging es nämlich bergauf. Nicht supersteil, aber doch so, dass wir langsam dahin krochen und in der prallen Sonne ganz schön ins Schwitzen kamen. Und obwohl es immer mal wieder kurz bergab ging, so war doch klar, dass wir einen Pass erklimmen mussten und leichte Veränderungen in der Vegetation zeigten an, dass wir tatsächlich Höhe gewannen. Wir waren, welche Überraschung, von Wald umgeben soweit das Auge reichte. Aber es war komischer Wald, nur ganz wenige Bäume waren grün, alle anderen waren dürr, braun und, zumindest so sah es aus, tot. Mit der Zeit wurde es etwas deprimierend, stundenlang nur diesen skelettalen Wald zu sehen. Abgesehen von der Vegetation erinnerte die Landschaft an Peru. Diese weiten, rollenden Hügel, die Strasse, die man manchmal schon kilometerweit voraus sah, und die Abwesenheit von jeglichen markanten Landmarken. Ab dem frühen Nachmittag zogen dann dunkle Wolken auf und wir hoffen, dass der Regen noch etwas auf sich warten lassen würde. Wir mussten noch irgendwoher Wasser beschaffen, gemäss Bike Buch sollte es in dieser Region aber nicht viele Bäche geben. So versuchten wir unser Glück bei den zahlreich vertretenen RV-Fahrern. Der erste drückte uns auf unsere Frage, ob wir wohl Wasser bekommen könnten, kurzerhand zwei Halbliter-Fläschchen in die Hand. Das war nett, half uns aber nicht so viel weiter, da wir Wasser für den Abend und zumindest für den nächsten Morgen brauchten. Ein Deutsches Paar füllte uns schliesslich alle unsere Flaschen auf und schenkte uns erst noch Trauben und zwei Muffins. Mmmm, vielen Dank.
Nach 69.44 km, die wir in 5:44 Stunden abgestrampelt hatten, fanden wir ein Plätzchen etwas abseits der Strasse im Gebüsch, wo wir das Zelt aufschlagen konnten. Uff, das war anstrengend gewesen, so viele Höhenmeter hatten wir schon länger nicht mehr an einem Tag überwunden. Ok, das war also unser erstes Wildcamp im Bärenland und wir suchten pflichtgemäss unser Futter zusammen um alles weit vom Zelt entfernt zu lagern. Weit heisst im Lehrbuch mindestens 100 Yards. Dasselbe gilt für kochen, auch das darf nicht in Zeltnähe geschehen, da man ja keine ungebetenen Gäste direkt zu sich nach Hause einladen will. Wir verstauten schliesslich unsere bärensicheren Container unter einem steinigen Abhang und die beiden Drybags mit allen, was nicht in die Container passte, platzierten wir je an einem eigenen Ort.
Morgens um 7 Uhr blendete mich die Sonne, die genau durch das Zeltfenster auf mein Gesicht schien und ich wunderte mich, warum die blöde Augenklappe in der Nacht immer verrutschte. Wir suchten dann also alle unsere Sachen wieder zusammen und offensichtlich hatte nichts und niemand versucht, etwas zu rauben. Nicht mal der Ground Squirrel, den ich in der Nähe meines Sackes rumrennen sah. Es blieben uns noch etwa 4 km bis auf die Passhöhe, das war irgendwo zwischen den 34 und 35 Mile Marker, dann begann eine ziemlich lange, rassante Abfahrt. Während es in der Nacht zu warm gewesen war für unsere Daunenschlafsäcke und wir auch beim zusammenpacken und bergauf fahren warm gehabt hatten, so musste ich nun zumindest leichte Handschuhe anziehen und es war auch so noch kühl (ich fuhr seit Beginn mit hochgekrempelten Hosen und T-Shirt). Zuunternst angekommen, begann ein konstantes Auf und Ab, das sich für den Rest des Tages durchziehen sollte. Die Steigungen waren meistens nicht mehr sehr lange, dafür aber steiler. Die Landschaft hatte sich seit dem Vortag kaum verändert, im Laufe des Tages sahen wir aber wieder mehr grüne Bäume. Wir hatten erwartet, dass irgendwann bald mal Schluss sein würde mit Asphalt, der Schotter beschränkte sich vorerst aber auf diverse Abschnitte von höchstens etwa zwei Kilometer. Dafür blies uns, wie kann man auch etwas anderes erwarten, den ganzen Tag über ein unermüdlicher Wind ins Gesicht.
Chicken, das einzige „Dorf“ zwischen Tok und Dawson, sollte 67 Milen ab Kreuzung Alaska/Taylor Hwys liegen und so waren wir immer schön informiert, wie weit es noch war. Von einem Hügel aus war der Verlauf der Strasse gut zu verfolgen und obwohl Chicken nirgendwo zu sehen war, war klar, dass die Ortschaft sich da unten im Tal verstecken musste. Und schon ging es fetztig ebendiesen Hügel wieder hinunter und zwar so steil, dass ich mich etwas duckte in der Hoffnung, 60 km/h zu erreichen. Bis ich ein eher unscheinbares Schild am Strassenrand sah mit der Aufschrift „End of Pavement“. Um nicht voll garacho in irgendwelches loses Kies oder andere Unannehmlichkeiten zu crashen, bremste ich aprupt, nur um dann ganz gemütlich auf einer harten, gut zu befahrenen Kiesstrasse zu rollen. 4 km später hatten wir Chicken erreicht (56.83 km und 4:06 Stunden) und machten uns auf die Suche nach jenem Ort, wo Ciclistas für $ 4.99 campen konnten. Diese Aussage hatte ein Flyer in Tok gemacht, wir erinnerten uns aber nicht mehr an den dazugehörigen Namen. Wir wollten nicht bleiben, weil es spät oder wir müde gewesen wären, aber wir fanden den Ort witzig und sahen keinen Grund, nicht einmal einen kurzen Tag einzuschalten.
Sonderlich anspruchsvoll war die Suche dann nicht, Chicken ist nämlich ein winziges Goldsucher-Kaff, wo man sich weder verstecken noch verfahren kann. Zu seinem Namen ist das Örtchen anfangs des 20. Jahrhunderts gekommen, als sich dort immer mehr Leute zum Gold suchen niederliessen. Man einigte sich auf den Namen „Ptarmigan“, Schneehuhn, weil diese Vögel dort häufig vorkommen und auch oft gegessen wurden. Wie man aber nun das verflixte Wort korrekt schrieb, war den Goldsuchern nicht so klar und so blieb eben „Chicken“, wie man die Ptarmigans in der Umgangssprache auch nannte. Wir hatten also den Goldpanner, einen Souvenirladen mit dazugehörendem Chicken Creek RV Park gefunden und da dort pro Zelt und nicht pro Person berechnet wurde, bezahlten wir nur gerade die $ 4.99. Als die gesamte Geschichte unserer langen Reise rauskam, durften wir sogar gratis duschen. Sonst hätte das, wie schon in Tok, $ 8 gekostet. Das ist aber der Preis für eine unbeschränkte Dauer, weshalb man sich das problemls teilen kann. Nach nur zwei Tagen radeln waren wir aber ohnehin nicht bereit, für’s duschen zu bezahlen. Wenn’s aber gratis war, war das eine andere Sache.
Es war noch früher Nachmittag gewesen als wir in Chicken angekommen waren und so hatten wir viel Zeit, rumzuhängen und im benachbarten kleinen „Restaurant“ Zmittag zu essen. Was wir auch nur machten, da wir unsere letzten US-Dollars loswerden wollten. Wir trafen auch noch ein Ciclista-Paar aus England, die ebenfalls von Patagonien heraufgeradelt waren. Wir sind also nicht die einzigen, die sowas komisches machen. Da immer noch Geld übrig war, gingen wir abends nochmals auswärts essen und dann unternahmen wir wieder einen Versuch, bei vollem Tageslicht zu schlafen. So langsam gewöhnen wir uns zwar daran, einschlafen ist aber trotzdem meist nicht leicht.
Der nächste Tag begann mit einer mehre Kilometer langen Steigung auf guter Kiesstrasse. Erst im Tal nach dem ersten Hügel wurde es mühsam. Dort war man daran, die Strasse zu reparieren. D.h. kaputt war da nichts aber vermutlich wird die harte Erdoberfläche bei Regen schlammig und so bekam die Strasse eine neue Schicht Kies gesponsert. Was uns überhaupt nicht begeisterte, die harte Erde mit wenigen Steinchen war genial gewesen, im tiefen Kies blieben wir fast stecken. Ausserdem wirbelte so jedes Auto eine Riesenmenge Staub auf, ganz egal wie langsam es vorbeifuhr. Die meisten RV-Fahrer waren rücksichtsvoll, die Pick-ups nicht immer und der Laster, der das Kies für die Strasse ranschaffte, liess sich von unserer Gegenwart überhaupt nicht stören und blochte unbeeindruckt vorbei. Dass da sogar drei grosse Reisebusse unterwegs waren, hatte mich überrascht, hängt aber evtl. damit zusammen, dass der Alaska Highway wegen Hochwasser des Kluane Sees gesperrt ist und es momentan keinen anderen Weg von Kanada nach Alaska gibt als den Top of the World/Taylor HWY.
Wir waren also daran, den zweiten Hügel des Tages zu erklimmen. Dabei kamen öfters Erinnerungen an die Carretera Austral in Chile auf, wo wir oft von Bremen attakiert wurden. Nun waren es Heerscharen von Mücken, die unser langsames Tempo von 5-6 km/h locker mithalten konnten. Und mal kurz einen Sprint einschalten, war auch nicht unbedingt die Lösung der Wahl, ganz einfach, weil sowas auf die Dauer eh nicht funktionieren kann. Von zuoberst hatte man eine hübsche Aussicht auf den West Fork Dennison River, der unten im Tal seine Schlangenlinien zog. Dort oben trafen wir auch drei Schweizer, die mit einem kleinen RV unterwegs waren. Irgendwie kam mir das richtig komisch rein, mit wildfremden Leuten Schweizerdeutsch zu reden. Abgesehen von den zwei Wochenn im April war das wohl schon lange nicht mehr vorgekommen. Sie hatten interessante Information betr. Strasse für uns. Jetzt sollte es wieder bis auf 600 müM runtergehen, dann wieder rauf auf 1‘000, wo eine Art welliges Hochplateau beginnen sollte, dann nochmals gute 300 m Steigung zur kanadischen Grenze hoch. Ok, so schlecht klang das gar nicht.
Also fetzten wir bergab und bald darauf krochen wir wieder den Hügel rauf. Es war schon den ganzen Tag bedeckt gewesen, zum Velo fahren perfekte Temperaturen, zum gemütlich Pause machen eindeutig zu kalt. Man muss aber bekanntlich nicht schnell sein um irgendwann oben anzukommen und 400 m sind keine Ewigkeiten. Dort oben, beim Beginn des erwähnten „Plateaus“, befand sich auch die Abzweigung nach Eagle und für uns somit der Beginn des Top of the World Highways. Was änderte sich damit? Erwartungsgemäss nichts, ausser, dass wir Aussicht auf umliegende Hügel und Täler hatten, was cool war wegen der unendlichen Weite, uns sonst aber eigentlich nicht sehr speziell erschien. Nach einigem sanften Auf und Ab erreichten wir einen Ort mit Namen Boundary (62.38 km, 5:50 Stunden). Als Dorf kann man die paar Hüttchen nicht bezeichnen, wir wurden aber vom Besitzer begrüsst und bekamen je drei Halbliter-Flaschen Wasser. In anderer Form gab es das dort nicht. In Boundary hatte es mal eine Lodge gegeben, die ist jedoch abgebrannt. Wir durften aber zelten oder uns in einer kleinen Cabin verstecken, ganz wie wir wollten. Mega nett, vielen Dank. V.a. wegen dem kalten Wind wählten wir die Cabin und waren später am Abend, als es zu schiffen und hageln begann, ziemlich happy über unsere Wahl. Von einem RV-Paar hatten wir noch mehr Wasser erhalten und so waren wir fast wunschlos glücklich. Ja, fast. Es hätte etwas wärmer sein können.
Am Morgen darauf war draussen alles grau und vernebelt. Da es aber nicht regnete, machten wir uns bereit, weiterzufahren. Bis wir soweit waren, hatte sich der Nebel in Bodennähe etwas gelichtet, aber ja, dafür regnete es jetzt. So waren die letzten rund 6 km bis zur kanadischen Grenze nass und wie schon anderweitig festgestellt sind nasse Sand/Kiesstrassen klebrig. Dazu ging es bergauf und wir brauchten über eine Stunde bis endlich die Grenzgebäude in Sicht kamen. Wobei von „Sicht“ zu reden eher etwas übertrieben war und dem dichten Nebel da oben nicht gerecht wurde. Es gab aber nur eine Passkontrolle, Aus- und Einreise kombiniert. Oder so habe ich das zumindest verstanden.
Auf unsere Frage hatten wir die Information gekriegt, dass es lange auf und ab gehe und dass sich Asphalt und Schotter abwechseln. So war das denn auch. Zuerst rollten wir wieder auf „Asphalt“, oder dem, was davon noch übrig war. Dieser Belag war wohl einer der miesesten der ganzen Reise, mit riesigen Löchern und Flecken, wo nur noch Kies übrig war. Der Schotter, der weit über die Hälfte der Strasse bedeckte, war eigentlich einfach erodierter Asphalt. Zurück zum Ursprung sozusagen. Das hätte ich in Nordamerika nicht erwartet, aber gut, diese Strasse ist wohl nicht so wichtig und wenn irgendwo gespart werden muss, dann eben hier. Dann stellte sich aber nach nur wenigen hundert Metern die Frage, wo wohl die Architekten der Strasse her kamen. Ecuador, Panama oder Guatemala? Peruaner waren das ganz bestimmt nicht, die hätten nie und nimmer solch absurd steile Steigungen gebaut. Aber vielleicht ist das ja auch in Kanada so üblich? Ich war auf jeden Fall teilweise so langsam, dass mein Tacho keine Geschwindigkeit mehr erkannte, d.h. unter etwa 3.8 km/h. Und da wir ja direkt durch die Wolken (Top of the World eben!) pedalten, sah man auch nicht, wie weit diese Steigung noch so weiterging. Nicht eben motivierend.
So ging das dann munter weiter. Meistens war es zwar nicht mehr ganz so steil, aber mit nasser Sandstrasse kombiniert etwa ebenso mühsam. Als wir ein paar Höhenmeter verloren hatten und uns unterhalb der Wolken befanden, konnte man immerhin den Strassenverlauf für mehr als 10-20 Meter erkennen und auch sehen, dass da unten weite, grüne Täler lagen, aber interessant war das alles eigentlich nicht. Der einzige Vorteil des Wetters war, dass weniger Verkehr herrschte als tags zuvor und dass wir nicht eingestaubt wurden. Ich hatte schon seit kurz nach der Grenze wieder Hunger gehabt, wir machten aber erst nach den üblichen rund 20 km Pause und die hielt sich kurz und wir frohren dabei ganz schön. Zwischendurch hörte dann der Regen auch mal kurz auf und wir sahen fast die Sonne, nur um gleich darauf wieder total verpisst zu werden. Zum Zmittag essen mussten wir uns dann etwas einfallen lassen. So bauten wir mit unserer Plache und den Velos ein notdürftiges Hüttchen, da der Himmel aber wieder gerade sämtliche Schleusen maximal geöffnet hatte, wurden wir bald ganz einfach unterschwemmt. Und überhaupt, es war schlicht hundsmiserabel, so in der Kälte und Nässe zu sitzen und zu warten, bis die ganze Schei...e wieder aufhört. Die RV-Fritzen, die vorbeifuhren und noch winkten, machten das Ganze auch nicht besser.
Nach guten eineinhalb Stunden war es dann soweit und wir trauten uns wieder raus. Mal schauen, wie es hinter dem nächsten Hügel aussieht... Haha, sehr witztig, natürlich sah es hinter jedem weiteren Hügel ziemlich genau so aus wie hinter jedem, über den wir gekommen waren. Es ging runter und danach wieder hinauf. Und wieder runter und wieder hinauf. Keine Ahnung, weshalb wir uns eigentlich noch solch doofe Fragen stellten. Die Mittagspause hatten wir von etwa 14.20 bis 16 Uhr gehalten und waren bis dahin schon fast fünf Stunden in den Sätteln gesessen. So dauerte es etwas, bis wir wieder in Schwung kamen und eigentlich hatten wir keine grosse Lust mehr. Von den rund 113 km von Boundary bis Dawson hatten wir etwa 48 geschafft, es fehlten also noch jede Menge. Die Engländer, die wir in Chicken getroffen hatten, hatten gesagt, sie hätten das in einem langen Tag gemacht. Und die mussten von Dawson aus erst raufklettern. So nahmen wir an, dass wir das auch schaffen sollten, aber mit der Zeit kamen Zweifel auf. Irgendwann musste es aber runter gehen! Aber nicht hinter diesem Hügel und auch nicht nach dem Nächsten. Am Vormittag waren wir an diversen Schneefeldern vorbeigefahren, am Nachmittag sahen wir links in der Ferne eine Bergkette, die Ogilivie Mountains. Unter blauem Himmel! Die Berge hatten gutes Wetter und unsere blöden Hügel waren vernebelt und verregnet!
Um 20 Uhr, nach 7:55 Stunden und 83.72 km, waren wir platt und glaubten nicht mehr an die Abfahrt. Wir hatten eine Durchschnittsgeschwindigkeit von gerade mal 10.5 km/h geschafft, was bei diesen Verhältnissen nicht wirklich verwunderte, aber auch nicht motivierte. Es gab neben der Strasse aber ab und zu grössere freie Flächen, auf so einer stellten wir schliesslich unser Zelt auf. D.h. nachdem wir einen kurzen Regenschauer abgewartet hatten. Da wir knapp an Wasser waren, verzichteten wir auf Kochen und assen Tortillas (mit nichts drauf) und sonstige Snacks. Dann verteilten wir unsere Futtervorräte in einigem Abstand vom Zelt und hofften auf besseres Wetter am nächsten Morgen.
Das hatten wir dann auch. Nach guten zehn Kilometern zogen wir zwar das Regenzeug an, wie sich kurz darauf herausstellte, wäre das nicht unbedingt nötig gewesen. Nach nochmals zwei Kilometern hatten wir es dann endlich geschafft, die Abfahrt nach Dawson begann. Und zwar rasant, steil und kalt. Hat aber mighty Spass gemacht. Und es wäre umgekehrt wohl mighty anstrengend da raufzukeuchen. Gemäss dem, was man uns unterwegs gesagt hatte, hätte der Top of the World-Highway sehr schön, ja spektakulär sein müssen. Das hatten wir eindeutig verpasst. Irgendwie scheinen die Berge hier gegen uns zu sein und immer, wenn gute Aussichten auf dem Programm stehen, werden wir eingenebelt. Aber nun sahen wir immerhin den Yukon River von oben und Dawson City, wobei der Fluss beeindruckender war als das Dorf.
Unten angekommen gingen wir erst den Yukon River Government Campground anschauen. Sehr überzeugt davon waren wir aber nicht. Es gab zwar eine Shelter, d.h. einen überdachten Platz mit Tischen und Bänken, dafür nur einen einzigen Wasserhahn für den gesamten Zeltplatz und gerade zwei bärensichere Foodboxen! Das fanden wir etwas hohl. Zwei Boxen an einem Ende der Anlage, das Wasser auf der anderen Seite. Nicht optimal. Dazu musste man, wenn man ins Dorf wollte, erst die Fähre nehmen. Die aber gratis war. So sind wir mal über den Yukon nach Dawson geschifft, haben uns an einem Picknick-Tisch in die Sonne gesetzt und etwas gegessen. Danach inspizierten wir den Gold Rush RV Park, der aber stolze $ 21.50 pro Nacht zockt. Dafür liegt er mitten im Dorf, hat Duschen (die $ 2.5/6 min. kosten), hübsche Toiletten, Wifi, und ist, da nicht im Wald, nicht allzu sehr mit Mücken verseucht. Wie soll man sich entscheiden? Für das, was der „günstige“ Zeltplatz bietet, ist er gar nicht so günstig, der andere ist ganz einfach schweineteuer. Wir werweissten hin und her und entschieden uns schliesslich für die komfortablere, d.h. natürlich auch teurere Version. Bald stellten wir fest, dass hier in Kanada tatsächlich alles noch ein ganzes Stück teurer war als in Alaska, und das bezog sich nicht nur auf campen, sondern auch Food und was man sonst noch alles so braucht oder gerne hätte. Dafür ist Dawson eine herzige Stadt, die bis auf einige Details wie Strommasten einem Western entsprungen sein könnte. Asphaltiert ist auch nur gerade die Front Street, die Haupt- und Durchgangsstrasse, alles andere ist Schotter und es gibt noch jene teilweise erhöhten hölzernen Gehsteige, ebenfalls westernässig. Klar ist das ganze Dorf gerade mal auf zwei Dinge ausgerichtet: Gold und Touristen. Bis heute wird hier aktiv nach Gold gesucht und anscheinend wird das Edelmetall auch immer noch gefunden, auf wenn längst nicht mehr so viele Leute da leben wie 1898, als die Stadt über 30‘000 Einwohner zählte.
Dawson City liegt ja bekanntlich am Ufer des Yukon Rivers und ist von diesem anscheinend auch mehrfach geflutet worden, wie dies Fotos im Visitor Center aus dem Jahr 1979 belegen. Deshalb wurde im Jahr 1987 ein Deich gebaut, der heutzutage eine hübsche Uferpromenade ist. Früher, zu Zeiten des Gold Rushs, legten an jenem Ufer unzählige Schiffe an, die vom Beringmeer aus den langen Weg durch Alaska bis nach Kanada hinaufgefahren waren. Insgesamt ist der Yukon 3‘185 km lang und entspringt interessanterweise keine 25 km vom Pazifik entfernt im Südosten Alaskas, hat sich aber, wie bei Flüssen so üblich, nicht den schnellsten, sondern den Weg des geringsten Widerstandes gesucht. Da er für seine Grösse recht schnell fliesst, ist sein Wasser dunkelbraun und lädt nicht gerade zum baden ein. Wäre wohl auch zu kalt.
Unseren ersten Tag in Dawson verbrachten wir mehrheitlich mit rumspazieren, Glacé essen und Souvenirläden anschauen. Der zweite Tag war dann ganz emsig gefüllt mit einkaufen, organisieren und umpacken all des Futters, das auf den Dempster Highway mitkommen muss. Im Western Arctic Visitor Center, das für die Northwest Territories und somit u.a. für den Dempster zuständig ist, hatten wir in Erfahrung gebracht, dass wir dort eine Schachtel abgeben können, die sie dann einem Autofahrer mitgeben werden mit Instruktionen, sie für uns in Eagle Plains abzugeben. Da Eagle Plains ziemlich genau in der Mitte der Strecke liegt, passt das gut. Wir rechnen 11 bis 12 Radeltage und 3 Reservetage, die zum Beispiel für erzwungene Pausentage gebraucht werden könnten, falls es stark regnen und die Strasse unpassierbar werden sollte. So haben wir also Essen für 15 Tage angehäuft und die Hälfte davon in die Kiste gesteckt. Vorräte für eine Woche zu schleppen, ist für uns gar nicht so aussergewöhnlich, da wir bisher ohnehin immer zu viel Zeugs dabei hatten. Der General Store hier in Dawson ist überraschend gut bestückt, wir hätten z.B. nicht geglaubt, hier immer noch Tortillas zu finden. War aber kein Problem. Ebenfalls die obligate Bohnenpaste, auf Tomaten und anderes Gemüse werden wir verzichten müssen. Zum Abendessen haben wir Teigwaren, Reis, Polenta und Stocki, wir werden also abwechslungsreicher essen als bisher. Snacks waren natürlich eh kein Problem und ich schleppe seit Seaside einiges an Schokolade mit, sieht also aus, als werden wir in den nächsten zwei Wochen keinen Hunger leiden.
Den späteren Nachmittag haben wir mit einer Tour zum Slow Rush Kennels verbracht. Die New Yorkerin Kyia Buchard hat sich dort ihren Lebenstraum verwirklicht. Sie hat 44 Schlittenhunde und plant, mit einem Team am nächsten Yukon Quest teilzunehmen. Wir erhielten eine interessante Führung durch die Anlage, wo die Hunde wohnen und Erläuterungen, um was für Hunde es sich dabei handelte. Die meisten sind Alaskan Huskies, sprich Rennhunde. Sie hat auch Malamute-Mischlinge, die sind grösser und stärker, aber nicht so schnell, und einige Trapper-Hunde. Das Team, das voraussichtlich am Yukon Quest starten soll, besteht aus Hunden eines anderen Mushers, die das Rennen schon absolviert (und gewonnen) haben und einem eigenen Wurf letztjähriger Welpen. Die Hunde sind auf einem grossen Gelände untergebracht, jeder hat seine eigene Hütte, ist aber an einer Kette angebunden. Jeder Hund kann zwei bis drei weitere berühren, jedoch nicht nahe genug ran um sich gegenseitig zu verletzen, sollte einer mal schlechte Laune haben. Wir bekamen auch eine Live-Demo im Hunde vor den „Schlitten“ spannen und waren amüsiert aber der Hektik und Ungedult, die die Hunde zeigten bis es endlich losging. Ganz offensichtlich: die wollen rennen. Der Lauf war dann aber nur kurz, da es eigentlich zu warm war.
Wir konnten danach ein kleines Museum besichtigen mit verschiedenen Schlitten-Typen, vom traditionellen Last- zum modernen Rennschlitten, und einer grossen Sammlung an allem, das irgendwie mit Schlittenhunden im Zusammenhang steht. Von Briefmarken über Postkarten, Bilder, kleinen Schnitzereien, Renn-Trophäen, Puppen der Natives hier und sogar Hundeschlitten-Spielsachen, z.B. Playmobil (die hatte ich auch!) und Lego. Zum Abschluss sahen wir noch einen kurzen Film über den Yukon Quest. Sehr empfehlenswert!
Unser dritte Tag in Dawson stand im Zeichen der Goldsuche. Wir besuchten die Mine Goldbottom, während dem Gold Rush ein Dorf mit sage und schreibe um die 5‘000 Einwohnern, jetzt ist alles wieder Wald. Jene Claims werden nun z.T. schon zum dritten Mal „gefilzt“, jeweils aber mit unterschiedlichen Methoden. Heutzutage ist man da recht modern und hat grosse Maschinen. Damit ist man deutlich schneller wenn man eine um die drei Meter dicke Permafrost-Erdschicht abtragen will um zu den Kiesschichten vorzudringen, die (hoffentlich) Gold enthalten. Dann wird das Kies per Bagger in eine „Separierungsmaschine“ gekippt, wo dann die grossen Steine rausgesiebt werden bis nur noch Sand und Goldflakes übrigbleiben. Auf einer Art riesigem Blech werden da mit Vibration und Wasser Sandkörner und Goldteilchen so weit wie möglich getrennt. Gold ist 19 mal schwerer als Wasser und durch die Vibration sinkt es durch den Sand nach unten. Dieser goldhaltige Sand wird dann von Hand löffelweise in eine komische, spiralartige „Pfanne“ gegeben, wo, wieder mit Hilfe von Wasser, die Goldkörnchen von den Steinchen getrennt werden. Die Steinchen wandern in der Spirale nach aussen, die Goldteilchen nach innen, wo sie durch ein Loch in ein Schälchen fallen.
Der für uns aktive Teil bestand aus gold panning, Gold waschen. So wie das vor über hundert Jahren die Goldwäscher gemacht haben. Man steht mit einem Haufen Kies und Steinen in der Pfanne im Bach, lädt Wasser auf und dreht und schüttelt das Ganze um eventuelle Goldflakes auf den Boden der Pfanne zu befördern. So wäscht man dann die grösseren Steine raus (oder pickt sie weg) bis man nur noch wenig Sand übrig hat. Goldflakes (ein Milimeter Durchmesser ist gross!) heben sich einerseits wegen ihrer Farbe von den Steinen ab, zuverlässiger ist aber ihr Verhalten. Steinchen werden leicht weggespühlt, Gold bleibt wegen dem seinem Gewicht auf der Pfanne liegen. Martina hatte schon beim ersten Versuch Glück, ich musste eine zweite Pfanne waschen bis ich zwei winzigste Goldbrösmelis fand.
Wir bekamen auch noch das grösste Nugget zu sehen, das die Eigentümer-Familie je gefunden hatte. Drei Unzen schwer ist das Ding und damit sehr ungewöhnlich gross. Die Tour hatte auf jeden Fall Spass gemacht, das Beste daran war für uns aber, dass wir sie gratis gekriegt hatten, da wir den Besitzer der Mine in Dawson getroffen und eine Einladung gekriegt hatten. Jetzt sind wir also beide reich und werden mit dem Vermögen, das wir hier gemacht haben, noch auf unbestimmte Zeit weiterreisen können. Damit sind wir ready für den Dempster Highway und sonstige weitere Abenteuer.
Hier noch eine Korrektur zum letzten Eintrag. Dort habe ich von einem Foto mit Wald behauptet, dass sei Tundra, was nicht korrekt ist. Jene Wald-Landschaft nennt sich hier Boreal Forest, in der Tundra wachsen wegen Permafrost keine Bäume mehr. Sorry wegen der Verwechslung.