Mann, ist ja sehr witzig. Die dreieinhalb Tage von Cuenca nach Riobamba könnte man kurz und bündig so zusammenfassen: Auf, ab, auf, ab, auf ab, etc. etc. und Sonne, Nebel, Nebel, Regen, Nebel, Sonne, Nebel, Regen, Nebel, Nebel, Regen, Nebel, Sonne.
Hier aber doch noch etwas detaillierter: Cuenca haben wir am frühen Morgen noch bei Sonnenschein verlassen. Wie immer war es nicht ganz einfach, den richtigen Weg aus der Stadt zu finden, eine hilfsbereite Polizeistreife hat uns dann aber direkt auf die Panam geführt. Das hat die Sache natürlich stark vereinfacht. Dort ging es dann erst mal flach bzw. abwärts bis zum ersten Berg. Dort verlangsamte sich das schnelle Vorwärtskommen, bedächtig pedalten wir den Hang hoch, eine Kurve um die andere, wie schon so viele Male zuvor. Am späteren Vormittag bei einem kleinen Restaurant stoppte uns eine Señora und schenkte uns je eine Art kleine Maistortilla mit knalloranger Marmelade. Das sei Ananas-Karotte, eine sehr interessante und durchaus gute Mischung. Wir kauften dann auch noch ein paar jener Tortillas und etwas Marmelade. Und schon ging's weiter.
Es war schon ein Uhr als wir, fast zuoberst auf dem Pass, Mittagspause machten. Inzwischen war es stark bewölkt, ab und zu tröpfelte es ein wenig, dann schien wieder für ein paar Minuten die Sonne. Kurz nachden wir weitergefahren waren begann es wieder zu regnen und diesmal sah die Sache ernst aus. Also zogen wir Regenjacken, -hosen, Schuhschütze etc. an und schafften es gerade, alles zu montieren bevor es so richtig heftig zu pissen begann. Wir fuhren jetzt durch dichten Nebel und hofften, dass die Autofahrer bemerkten, dass die Sichtverhältnisse miserabel waren und entsprechend vorsichtig fuhren. Teilweise gab es nämlich keinen Seitenstreifen und gewisse Fahrer führten recht kriminelle Überholmanöver aus. Immerhin, es ging abwärts, der Regen peitschte uns zwar unangenehm ins Gesicht, wir kamen aber schnell und ohne Anstrengung vorwärts.
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Absturz in Bodenlose,
stimmt bei diesem Nebel alleweil. |
Überraschend bald kamen wir schon im Dorf Cañar an. Wir hatten einen Hügel mehr erwartet, offensichtlich war die Ortschaft auf dem Höhenprofil falsch eingezeichnet. Von anderen Ciclistas hatten wir wiederholt den Tipp erhalten, bei den Bomberos, den Feuerwehrleuten, um ein Nachtquartier anzufragen. Jetzt testeten wir das aus und klopften beim lokalen Cuerpo de Bomberos an. Die Männer wahren sehr freundlich und liessen uns in ihren Aufenthaltsraum einziehen. Eine Küche gab es auch, so waren die Spaghetti zum Znacht auch gesichert.
Wie immer wollten wir am nächsten Morgen früh los, um 6.15 Uhr waren unsere Velos bepackt und startklar. Dummerweise war aber das Tor der Bomberos abgeschlossen und die Feuerwehrleute schliefen alle noch. Hmm, was sollten wir da tun? Rumstehen und warten, bis einer erwacht? Raufgehen und an der Tür des Dormitorios klopfen? Wir beratschlagten eine Weile, entschieden uns dann, jemanden wecken zu gehen. Allerdings fand die Rumsteherei dann ihre Fortsetzung vor der Tür des Schlafraums, zu klopfen trauten wir uns nicht. Um etwa Viertel vor sieben kam einer der Männer raus und schloss uns freundlicherweise die Tür zur Freiheit auf.
Mit einer halben Stunde Verstpätung legten wir los, erst eine coole Bajada, dann das übliche gesichtslose auf und ab im dichten Nebel. Von der Landschaft war ohnehin nichts zu sehen, also galt meine Aufmerksamkeit der Strasse und der unmittelbaren Umgebung. Das stellte sich als noch ganz interessant heraus, so einen riesigen Käfer, wie jener, der da am Strassenrand entlangmarschierte, hatte ich jedenfalls noch nie gesehen. Wie dieses Tier heisst, weiss ich einmal mehr nicht, vielleicht kennt ja Fazl auch diesmal die Lösung des Rätsels. Als Hinweis, der Körper des Käfers war so um die 10 cm lang.
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Grosses Krabbeltier. |
Wir pedalten stundenlang durch den Nebel, zwischendurch kam die Sonne raus, was aber nie lange anhielt. Als es zu regnen begann, zogen wir das Regenzeug an, worauf es natürlich kurz darauf wieder aufhörte. Dieses Verhalten des Regens sollte sich zu einer Art Regel entwickeln: Es regnet, Regenschutz montiert, es hört auf. Regenhose, -jacke etc. ausgezogen, es regnet wieder. Wie auch immer, sehr viel sahen wir an diesem Tag nicht und als wir gegen halb drei das Dorf Chunchi erreichten, entschieden wir uns, dort zu bleiben. Von der nächsten Ortschaft, Alausí, trennten uns noch bestimmt 25 km und drei Hügel. Wir fanden mit dem Hotel Imperial eine konfortable Unterkunft mit direkter Aussicht auf die graue Suppe.
Die Feststellung am Morgen darauf war, dass es kurz nach 6 Uhr eigentlich noch ziemlich dunkel war und zusammen mit dem allgegenwärtigen Nebel eher ungemütlich auf der Strasse. Dass die Tage, je näher wir dem Äquator kommen, kürzer werden, ist uns ja eigentlich klar. Abends ist davon aber gar nichts zu spüren, morgens wird es jedoch klar später hell. Wir schlichen also durch den Morgennebel und hofften, dass die Autofahrer auch wirklich wach waren. Da war nämlich an etlichen Stellen die Strasse mit Geröll verschüttet und wir mussten auf die andere Strassenseite ausweichen. Einmal konnte ich gerade noch bremsen als vor mir einige Steine auf die Strasse runterdonnerten.
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Steinschlag, hier nichts Ungewöhnliches. |
Nach gerade mal sechs Kilometern hatte ich meinen Platten Nr. 4. Also alles abladen, Hinterrad rausnehmen und Schlauch wechseln. Und natürlich nach dem fiesen Störenfried suchen. Siehe da, einer jener auch hier allgegenwärtigen Glassplitter war der Schuldige. An Weihnachten hatte ich am Telefon noch gross behauptet, Scherben könnten meinen Reifen nichts antun, jetzt wurde ich eines Besseren belehrt. Mit der Zange war der miese Typ schnell entfernt und dann das Velo wieder zusammengebaut. Schon bald ging die Nebelfahrt weiter, und zwar so wie immer, bergauf, bergab und wieder bergauf und bergab. Dass sich der Nebel nach einer Weile lichtete und wir endlich in das Tal hinabsehen konnten, konnten wir fast nicht glauben. Schon am Tag zuvor hatten wir Grund zur Annahme, dass es nicht nur rechts ein hoher Berghang hatte, sondern dass es links noch weit in ein tiefes Tal hinunterging, wirklich etwas davon gesehen, hatten wir allerdings nie.
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Was es ohne Nebel nicht alle zu sehen gäbe... |
Motiviert schmierten wir Sonnencreme ein, soviel blauer Himmel wird ja wohl nicht gleich wieder verschwinden. Wer's glaubt, ist selig! Der Aufstieg auf den nächsten Hügel war lang, so lang, dass wir irgendwann wieder in den Wolken steckten. Die leider nur wenige Kilometer kurze Abfahrt nach Alausí war schnell, cool und endete im Sonnenschein. Dann war der Spass aber auch schon vorbei, es ging wieder bergauf und dort oben wartete wieder grauer Nebel auf uns. Bis hierhin hatten wir so um die 700 Höhenmeter hinter uns gebracht, mit dieser weiteren Steigung erwarteten uns weitere 1'000, wovon die erste Hälfte unangenehm steil war.
Nach unserer Mittagspause war es mit jeder Aussicht vorbei. Regen beim bergauf Fahren ist unangenehm, weil man im Regenzeug viel zu heiss hat. Den Regenschutz wegzulassen, ist aber auch keine gute Idee, wenn man nass ist, wird es doch bald kalt. Die Lösung, an- und ausziehen, ist mühsam und zeitintensiv und sowieso pointless, weil sich der Regen wie erwähnt dem anpasst und immer das Gegenteil von dem tut, das wir hoffen. Etliche Kilometer weiter oben bestaunten wir den Namen einer Bushaltestelle (ja, hier hat jeder Busstopp einen Namen, unglaublich, nicht?) Da stand nämlich "Aypud" geschrieben. Ob in dieser einsamen Gegend der iPod entstanden sein kann???
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Geburtsstätte des iPod? |
Ok, wohl eher nicht. Nochmals einige Kilometer später fragten wir bei einem Bauern nach, wie weit es denn bis zur nächsten Ortschaft, Palmira, sei und ob es dort eine Hospedaje gäbe. "Unos dos kilómetros y sí hay hospedaje", es seien noch etwa zwei Kilometer bis zum Dorf und es gäbe eine Unterkunft dort. Wunderbar, da sieht die Welt ja schon ganz anders aus. Das es vermutlich etwas weiter als die zwei Kilometer war, war uns klar, vielleicht so um die vier bis fünf. Aber die Kilometer kamen und gingen, deren immer mehr und mehr. Zwei Frauen, die ich fragte, meinten, die Ortschaft sei oben auf dem Hügel, vielleicht 20 Minuten zu Fuss. Dieselbe Frage stellte ich ein paar Arbeitern, die antworteten, es gehe noch etwas rauf, dann pura bajada, alles bergab. Wir erreichten die Passhöhe, fetzten ins Tal hinunter und... krochen auf der anderen Seite wieder hoch und noch immer war da kein Dorf. Weiter rauf, und noch weiter, irgendwann würde es wireder runter gehen. Und dann, tatsächlich, nach 12 anstatt 2 km, sahen wir ein grünes Schild, das den Dorfeingang von Palmira kennzeichnete. Der Einzige meiner "Informanten", der Recht gehabt hatte, war ein Junge gewesen, der gesagt hat, es sei noch weit.
Wir bogen also ab, fuhren ins Dorf und fragten die nächstbeste Person, wieder ein Junge, ob es hier eine Unterkunft gäbe. Nein, meinte er, er kenne nichts. Ah Shit, aber wer von 12 km behauptet, es seinen zwei, schnallt vielleicht auch nicht, ob oder ob nicht, es im Ort eine Hospedaje gibt. Das Verdikt wurde von weiteren Leuten bestätigt, wir sollten doch weiter nach Guamote, dort gäbe es ein Hostal. Guamote sei aber noch weit, meinten wir, gibt es hier vielleicht Bomberos? Nein, auch nicht, uns so weit sei Guamote nicht, etwa eine halbe Stunde mit dem Velo, flach und bergab. Ok, ok, eine Wahl hatten wir ja nicht wirklich, ausser wir wollten hier oben im Nebel und Regen campen, wozu wir überhaupt keine Lust hatten. Es war eh schon spät, irgendwie spielte es keine Rolle mehr.
Diesmal checkten wir aber erst Karte und Höhenprofil bevor wir wieder losfuhren. Flach und bergab stimmte, so weit so gut. Distanz: 20 km. Und das in einer halben Stunde? Wetten, der Mann hat noch nie auf einem Velo gesessen. Aber gut, los geht's. Dass es pisste, machte auch keinen Unterschied mehr, nass waren wir eh schon lange. Wir kamen zum Glück schnell vorwärts und in der Entfernung schien sogar die Sonne! Wir erreichten den Sonnenschein zwar nicht mehr, es war immerhin schon nach 17 Uhr gewesen, als wir Palmira verlassen hatten und die gelbe Wärmequelle war auch auf dem Heimweg. Aber wir hatten einen Lichtblick vor Augen nach Stunden in Regen und Nebel.
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Ein Drachen, seit Cuenca mein neuer Begleiter. |
Die veranschlagte halbe Stunde reichte erwartungsgemäss zwar nicht, nach einer knappen Stunde hatten wir aber Guamote erreicht. Das Hostal sollte gleich beim Ortseingang sein. Wir fanden es aber nicht. Dafür befanden sich da hinter einem Torbogen die Bomberos. Ein grosser Hund meldete uns bellend an, worauf ein älterer Señor zum Gitter kam. Wieder wurde unserer Bitte um ein Nachtlager problemlos entsprochen, diesmal konnten wir sogar ins Dormitorio einziehen, wo es freie Betten gab. Nach fast acht Stunden Nettopedalzeit und guten 1'700 Höhenmeter waren wir beide total platt und dem Herrn entsprechend dankbar. Wir suchten ein Restaurant und verzogen uns dann bald ins Träumliland.
Am folgenden Morgen standen wir später auf als sonst. Erstens war Riobamba keine 50 km mehr entfernt und zweitens wollten wir die Feuerwehrleute nicht stören, indem wir um 5 Uhr für Unruhe sorgten. So war das kein Problem, die Männer standen nur kurz nach uns auf und als wir startbereit waren, waren die beiden Herren schon dabei, ihre Ambulanz auf Hochglanz zu bringen. Hier in Ecuador ist es offensichtlich normal, dass die Feuerwehr eigene Ambulanzen hat, auch in Cañar war das schon so gewesen. Interessanterweise sind die Uniformen der Feuerwehr eher militärisch in rot-beigem Camouflage-Look. Ob sie sich damit wohl zwischen den Flammen verstecken wollen?
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Auch Ambulanzen wollen gepflegt sein. |
Der Morgen war zwar noch kühl, aber der Himmel blau und uns erwartete, abgesehen von ein paar kleinen Steigungen, eine lange Strecke bergab nach Riobamba, welches auf ca. 2'900 m liegt. Viel passierte auf dieser Strecke nicht, zweimal fuhren kleine Touristen-Züglein vorbei, die von einem Hund mit viel Inbrunst gejagt wurden. Nur weiter so, besser die jagen Züge als Ciclistas. Eine grosse, und vor allem hohe, Sehenswürdigkeit baute sich bald vor unseren Augen auf. Der Chimborazo, mit 6'267 m der höchste Berg Ecuadors. Anscheinend ist dieser Berg sehr schüchtern und zeigt sich nicht so gerne. Jedenfalls hatte er eine Menge Wolken um sich geschart und nur sein Gipfel schaute oben raus. Ein interessantes Detail: Der Gipfel des Chimborazo ist der Punkt der Erde, der am weitesten vom Erdmittelpunkt entfernt ist, weiter als der Gipfel des Mount Everest.
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Scheuer Chimborazo versteckt sich hinter Wolken. |
Nach mehreren Kilometern Abfahrt hatten wir die Aussenbezirke von Riobamba erreicht. Obwohl die Strasse seit Cuenca fast komplett asphaltiert bzw. betoniert war, waren unsere Velos und Taschen wieder einmal ziemlich verdreckt. Ein paar wenige hundert Meter Schlammstrasse im Regen hatten da gereicht. Also bogen wir kurzerhand zur ersten Tankstelle ein und fragten nach einem Wasserschlauch. Den wir natürlich auch erhielten. Und da es sonnig und warm war, hatten wir ziemlichen Spass an der Abspritzerei obwohl das Resultat mangels Lappen oder Schwamm nicht sonderlich überzeugend war. Aber egal, Kette etc. waren etwas weniger schmutzig als zuvor.
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Velo abduschen ist unterhaltsam. |
Nach einer nicht allzulangen Suche fanden wir ein günstiges Hostal mit einer sympatischen Señora. Natürlich waren wir gespannt, was in dieser Stadt an Silvester abgehen würde. Und ob wir es schaffen würden, bis nach Mitternacht wach zu bleiben. Immerhin gehen wir normalerweise zwischen 20 und 21 Uhr schlafen. Beim Abendessen hatten wir, eigentlich zum ersten Mal, eher Pech mit der Wahl des Restaurants. Dass im Reis Crevetten drin waren, fanden wir beide schon schlimm genug, und das Fleisch sah aus, als hätte es tagelang rumgelegen. Es schmeckte in etwa auch so. Da wir der Sache überhaupt nicht trauten, gingen wir hinterher (ja, ich auch!) einen Whisky trinken und hofften, das der allfällige Viecher killen würde. Der anschliessende Spaziergang durch die Stadt war recht amüsant. Klar, die Strasse waren überfüllt mit Fussgängern und Autos, die zusätzlich aufgehalten wurden durch tanzende, als Frauen verkleidete Männer. Jedes Auto, das vorbeifahren wollte, musste bezahlen.
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Beleuchtete Plaza in Riobamba. |
Die Plaza war interessant beleuchten, nicht nur mit Lichterketten, sondern mit ganzen künstlichen Büschen mit je weiss, gelb, rot, blau, grün oder pink leuchtenden Blüten. Zu unserer Überraschung waren all die Leute kurz vor Mitternacht plötzlich verschwunden. Wo vorher noch ein dichtes Gewühl geherrscht hatte, wanderten noch ein paar wenige Leutchen herum, darunter wir. Keine Ahnung, wo die alle so plötzlich hin sind, dass es irgendwo ein grosses Feuerwerk gegeben hätte, konnten wir nicht feststellen. Tja, zackbum, und wir waren fast alleine auf der Strasse. Dafür lernten wir etwas neues kennen: Chilenos. Das sind etwa Ping Pong-Ball-grosse, frittierte Teigbällchen mit Zucker obendrauf. Megafein. Wir probierten erst eine Portion, fanden die Sache gut und kauften gleich noch eine. Dann war die Action aber endgültig vorbei und wir verzogen uns ins Hostal.