Mittwoch, 12. Januar 2011

Riobamba - Tumbaco (Quito): Ein letztes Mal Vicuñas

Von Riobamba nach Quito gab es zwei Möglichkeiten. Einerseits war da die Panam, die relativ direkt und ohne grössere Umwege zur Hauptstadt Ecuadors führte, andererseits gab es da eine Strasse, die zum Vulkan Chimborazo hochführte und mir schon in Cusco von anderen Ciclistas empfohlen wurde. Auch von jener Chimborazo-Option gab es gemäss Karte zwei Versionen, bei der einen hätten wir einige Kilometer auf der Panam zurück nach Süden fahren müssen, also entschieden wir uns für die andere. D.h. wir nahmen uns vor, uns, wenn wir die entsprechende Abzweigung erreichen würden, uns zu entscheiden, ob wir dort hinauf wollten oder nicht, was u.a. abhängig vom Wetter war. Da im Moment die Sonne schien, wollte ich eigentlich gerne diese Umweg machen, Martina hatte seit einiger Zeit etwas ein Motivationstief und war nicht so begeistert von der Idee. Und natürlich war es auch gar nicht so leicht, die richtige Abzweigung zu finden, weshalb wir bei einem Polizeiposten nachfragten. Blöderweise stellte sich heraus, dass jene Strasse, wie wir allenfalls nehmen wollten, gefährlich sei, dort würden Touristen überfallen und die Polizisten rieten uns davon ab. Blieben die Optionen weiter auf der Panam oder 15 km zurück nach Riobamba und noch weiter bis zum Dorf Calpi, wo die andere Strasse abbog.

Vorsicht vor der ecuadorianischen Polizei...

Ich war eigentlich eher dagegen, zurückzufahren, Martina aber dafür, was mich schon etwas überraschte. Aber ok, sie wollte wohl nicht die sein, die mir den Spass verdarb und da bei ihrer momentanen Laune Diskussionen sinnlos waren, flitzten wir den Berg hinunter zurück nach Riobamba. Dort hörte der Spass auf, es ging wieder aufwärts und das für den Rest des Tages. Immerhin, die Sonne schien auch am Mittag noch, obwohl die Supersicht auf den Chimborazo, die wir am frühen Morgen genossen hatten, schon länger von dichten Wolken "zur Sau gemacht" worden war. Dass sich eben diese Wolken am Nachmittag langsam aber sicher über den gesammten Himmel ausbreiteten, störte uns erst nicht sonderlich, so war es wenigstens nicht so heiss. Mit der Zeit wurde die Sache aber eher besorgniserregend dunkel und als wir das erste Donnergrollen hörten, war uns klar, dass wir den Tag nicht trocken überstehen würden.

Wir hatten gerade sämtliche möglichen Regenschütze monitert und waren wieder in den Sattel gestiegen, als wir links etwas von der Strasse weg ein paar Häuser sahen und uns entschieden, nachzuschauen, ob wir dort allenfalls ein Dach über dem Kopf finden würden. Am Strassenrand stand ein Schild mit der Aufschrift "Casa Condor", vielleicht gab es in diesem winzigen Örtchen sogar eine Unterkunft. Tatsächlich fanden wir ein ansehliches Gebäude, das aussah, als könnte es ein Restaurant oder sogar eine Art Refugio sein. Zu unserer Enttäuschung brannte aber kein Licht und als wir durch die Fenster schauten, wurde klar, dass niemand im Haus war. Hmm blöd. In dem Moment kam aus dem Häuschen auf der anderen Strassenseite eine ältere Señora heraus, die wir gleich fragten, ob es hier eine Schlafmöglichkeit gäbe. Sie bejahte dies und meinte, sie ginge gleich die Empleada mit dem Schlüssel holen.

Das Häuschen der alten Dame,
nicht so modern wie unsere Unterkunft.

Jene Empleada kam auch pronto, eine Dame, nicht ganz so alt wie unsere hilfsbereit Freundin. Bald wussten wir, dass die Übernachtung hier USD 8 kosten würde, dass es im Haus ein Dormitorio, eine Küche, saubere Klos usw. gab und wir das alles für uns alleine haben würden. Und da es immer noch regnete, wir uns auf 3'840 müM befanden und es entsprechend kalt war, nahmen wir das Angebot an und manövrierten unsere Velos durch den schmalen Eingang.

Während ich die Räumlichkeiten inspizierte, ging draussen eines meiner wertvollsten Besitztümer verlustig. Mein Sack Chips! Einer der Hunde der nicht ganz so alten Señora raubte mir den unter der Regenhaube meines Rucksacks auf dem Velo weg. Mit diesen Chips hatte es eine besondere Bewandtnis. In Cuenca waren Martina und ich zum Schluss gekommen, dass wir viel zuviel Süsses und eben auch Chips assen und hatten uns für's neue Jahr vorgenommen, da eine Menge zu reduzieren bzw. ganz zu streichen. Unter das Verbot fallen Glacés, Kuchen und Chips und für Martina Coca Cola. Grund für diese fiese Restriktion war die Feststellung, dass wir trotzt anstrengendem Fortbewegungsmittel zunahmen und das zu unbequemen Hosen führte und sowieso generell nicht wünschenswert ist. Klar, und da dieses neue Regim erst ab dem 1. Januar 2011 galt, kauften wir am 31. Dezember 2010 in Riobamba den grössten Sack Chips, den wir finden konnten. Natürlich ging ich damit auch sehr sparsam um, und als nun dieses doofe Vieh meine geliebten letzten Chips klaute, war der Ärger natürlich gross. (Den würde ich ersetzen, keine Frage!)

Der Abend im kleinen Dorf Pulinguí San Pablo wurde kalt, die Nacht war aber dank unseren loyalen Schlafsäcken kein Problem. Als der Wecker morgens um 5 Uhr leutete und es noch dunkel (wie immer) und kalt war, konnten wir uns nicht zum Aufstehen motivieren, Martina stellte den Wecker auf 6 Uhr und wir drehten uns nochmals um. Wärmer war es 45 Minuten später natürlich nicht, aufstehen mussten wir jetzt trotzdem. Was sich auch lohnte, der Himmel war wolkenlos und der Chimborazo zeigte sich in seiner ganzen Schönheit.

Chimborazo am frühen Morgen.

Wie zu erwarten war, ging es weiter bergauf. Wir bestaunten den vereisten Klotz solange wir ihn noch sehen konnten, denn, wie ebenfalls zu erwarten war, zogen um den Gipfel schon bald Wolken auf. Was hingegen eher unerwartet kam, war, dass hier oben nicht nur, wie im Resten Ecuadors, jene tote Hunde im Strassengraben lagen, sondern auch ein totes Pferd, bzw. was davon noch übrig war. Dass rücksichtslose Autofahrer sich nicht um Hunde auf der Fahrbahn scheren, ist mir ja klar, aber wie ein Pferd hier zu Tode kommt, ist mir weniger verständlich.

Totes Pferd am Strassenrand.

Wir spulten immer weiter den Berg hinauf, wie schon unzählige Male zuvor. Je höher wir kamen, desto karger wurde die Vegetation. Zu meiner Überraschung schien es hier auf etwa vergleichbarer Höhe eher weniger Pflanzen zu geben als in Peru. Dafür leben hier umso mehr Vicuñas. Als wir die erste Gruppe sahen, zückte ich gleich den Fotoapparat, obwohl die Viecher recht weit weg waren. Bis zur Passhöhe hatten wir dann bestimmt über ein Dutzend Vicuña-Familien gesehen, die z.T. unmittelbar neben der Strasse weideten und sich weder von Autos noch Lastwagen stören liessen. Wir wurden zwar etwas genauer beobachtet, scheu waren die Tiere jedoch überhaupt nicht. Eigentlich ziemlich hohl, sowas. Jedes schlaue Wildtier würde sich bliztzschnell ausser Sichtweite bringen, sobald Menschen auftauchen. Die Typen hier oben scheinen jedoch sehr in ihr Schutzgebiet zu vertrauen.

Wohl die letzten Vicuñas unserer Reise.

Bevor wir die Abfahrt in hoffentlich wärmere Gefilde in Angriff nahmen, packten wir uns warm ein. Auf dem Pass, auf geschätzten 4'200 bis 4'300 m in dichtem Nebel war es kalt und es sah nicht aus, als ob sich das so bald ändern würden. Egal, Abfahrten sind immer gut und wir genossen es, an weiteren Vicuñas vorbeizubrausen und dabei sogar schwer beladene, langsam fahrende Lastwagen zu überholen. Früher als erwartet stiessen wir auf eine Strasse, deren Wegweiser uns komplett verwirrten. Gemäss Karte hätten wir direkt in eine Stadt kommen sollen, nicht zum Wegweiser dorthin. Ein Lastwagenfahrer klärte die Verwirrung auf und wir kamen zur Erkenntnis, dass bei der Erstellung der Strassenkarte hier etwas total schiefgelaufen sein musste. Aber umso besser, wir waren nämlich schon viel näher als vermutet an unserem Tagesziel, der Stadt Ambato.

Es ging einige Kilometer weiter bergab bis zum nächsten Anstieg, wo sich auch die Abzweigung zu jener Vía Flores-Strasse befand, die angeblich sehr schön sein sollte. Ein Motorradfahrer verriet mir, dass die Hauptstrasse nach Ambato über diverse Hügel führte, die Vía Flores jedoch eine reine Bajada sei. Damit war der Entscheid gefallen, wir bogen ab. Und tatsächlich, es ging bergab, und wie. Das Tal war wieder einmal sehr Schweiz-ähnlich, leuchtend grüne Hügel, einige Wäldchen, so richtig idyllisch.

Noch ein Ausflug in die Schweiz?

Weiter unten verengte sich das offene Tal langsam, teilweise führte die Strasse durch eine enge Schlucht. Wie es sich gehört, floss natürlich auch ein Fluss da durch, der Río Ambato. Auf dieser Strecke gab es sogar einige gelbe Schilder, die vor Velofahrern warnen. Ich nehme jetzt einmal an, dass damit gemeint ist, man solle aufpassen und keine Ciclistas rammen, und nicht, dass wir eine gefährliche Spezies seien.

Die Strasse war an so einigen Stellen recht steil, es hatte wenig Verkehr und die Abfahrt machte entsprechend Spass. Wir glaubten allerdings nicht, dass es tatsächlich bis Ambato so rasant vorwärts gehen würde, das wäre einfach zu schön. Ich sah auch ein paar Mal weiter vorne, die Strasse einen Hügel hinaufführen, es stellte sich jedoch jedes Mal heraus, dass das eine Abzweigung und somit nicht unser Weg war. Bis schlussendlich die ersten Häuser auftauchten und wir den Stadtrand von Ambato erreicht hatten. Auf der gesamten 46 km der Vía Flores hatten wir kaum je in die Pedalen treten müssen. Für einmal wirklich pura bajada.

Nein, solche Blumen gibt es bei uns nicht.

Jetzt galt es, das Zentrum und eine günstige Bleibe zu finden. Ein netter Herr mit Pick-up bot uns seine Hilfe an und führte uns zu einem Hotel, wo die Übernachtung USD 7 kostete, was uns günstig genug war. Für diesen Preis erhielten wir sogar ein Zimmer mit Baño Privado, eigenem Bad und einer richtig warmen Dusche. Während Martina diese austestete ging ich in die Stadt und suchte Ersatz für meine arg strapazierten Packriemen, mit denen ich meinen Rucksack hinten aufs Velo binde und von denen mir in Riobamba einer gerissen war. Wie immer wurde ich durch die halbe Stadt geschickt, bis ich endlich fündig wurde. D.h. ich fand einen Laden, wo ich Riemen und Schnallen separat kaufen konnte und eine Erklärung, wo ich jemanden mit einer Nähmaschine finden würde. Der Nähmaschinen-Mensch war jedoch nicht dort oder ich suchte am falschen Ort, aber immerhin, die Rohmaterialien hatte ich beisammen.

Als wir am folgenden Morgen kurz nach 6 Uhr losfuhren, war es noch ziemlich dunkel. Wir genossen erst eine Abfahrt, dann ging es etwa 30 km hügelig weiter bis zur Stadt Salcedo, wo wir uns verfuhren und auf einer miesen Steinstrasse landeten, die angeblich nach Quito führen sollte. Während wir dort standen und uns überlegten, ob wir dort wirklich durchfahren sollten, rief ein hilfsbereiter Autofahrer herüber und erklärte uns den Weg zurück auf die Panam. Dort sah die Sache dann schon viel besser aus, wir hatten wieder eine breite Asphaltstrasse vor uns. Natürlich auch mit mehr Verkehr, zum Glück aber meistens mit Seitenstreifen. Das Höhenprofil behauptete, wir hätten eine lange, ganz leichte Steigung vor uns, was aber nicht spürbar war. Wir kamen schnell voran, sonderlich interessant war die Strecke allerdings nicht. Wir sollten uns ja eigentlich auf der berühmten Allée der Vulkane befinden, da die Wolken aber eher tief hingen, war von allfälligen Hügeln  und Vulkanen kaum etwas zu sehen.

Dass die Steigung gegen Ende noch etwa fünf steile Kilometer beinhalten würde, wussten wir. Das Unangenehmste daran war, dass auf jenem Hügel auch tiefgraue Gewitterwolken sassen, die bei unserer Ankunft ihre Schleusen öffneten und uns zu eiligem Regenschutz anziehen zwang. Da wir noch den Hügel hinaufstrampeln mussten, zogen wir unter der Regenjacke nichts Warmes an, auch unter die Regenhandschuhe (konkret: Putzhandschuhe aus Gummi) kam nichts Wärmendes. Was auch in Ordnung war, solange es bergauf ging. Aber jede Steigung hat ein Ende und oft folgt eine Abfahrt. So auch hier, 15 steile Kilometer hinunter nach Machachi. Obwohl wir unter dem Regenschutz trocken waren, wurde diese Bajada eine unangenehm kalte Angelgenheit.

Darf ich vorstellen: Meine neue Gallionsfigur.

Wir fanden einige Kilometer vor der Ortschaft ein Hostal und da von der Stadt wir nicht brauchten, blieben wir dort. Hier bezahlten wir etwas mehr als in Ambato, das Haus war etwas nobler und Martina am nächsten Morgen darum umso verärgerter, als sie feststellte, dass ihr Beine schon wieder einige neue Stiche oder Bisse aufwiesen. Schon in Riobamba hatte sie in ihrem Bett offenbar "Mitbewohner" gehabt, aber bei einem fünf -Dollar-Bett kann das schon einmal vorkommen. Bei dem doppelten Preis finden wir das nicht mehr in Ordnung. Aber was will man machen, Fenistil drauf (Danke Mami!!) und hoffen, dass das hilft.

Wir wussten nicht genau, wie weit es bis Tumbaco, einem Ort etwa 15 km ausserhalb Quito, sein würde, schätzten aber so um die 50-60 km. In Tumbaco gibt es auch eine Casa de Ciclista, und uns war es durchaus recht, nicht nach Quito reinfahren zu müssen. Wir hatten von Santiago, dem Gastgeber der Ciclistas, einen ungefähren Wegbeschreib erhalten, der durchaus geeignet war, uns mit ein paar Mal nachfragen  zu seinem Haus zu bringen. Unterwegs trafen wir Marco, einen einheimischen Rennvelofahrer, der uns einige Kilometer durch das Vorstadt-Strassengewirr lotste. Danach folgte eine längere Strecke entlang einem alten, grün überwucherten Vulkan bis wir wieder in einer Siedlung landeten und den Weg zwischen Häusern hindurch suchen mussten. Und dann, nach einer Kurve, standen wir plötzlich vor einer grossen, stark befahrenen Strasse und die Umgebung sah eher nach amerikanischer Suburb aus, denn als was wir von Ecuador bisher kannten. Wir irrten etwas durch die Strassen, fanden Santiagos Haus aber ohne grössere Probleme.

Ein Bericht zu Quito und der Casa de Ciclista in Tumbaco folgt separat, aber erst mal soviel: Es ist recht cool hier.

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