Samstag, 29. Mai 2010

Potosí

Wie ich im letzten Text schon geschrieben habe, ist der kulturelle Mix hier in Potosí sehr interessant. Da verkaufen die Quechua Frauen an der Plaza frischgepressten Orangensaft, tragen traditionelle Trachten und ihre Babies und kleinen Kinder in farbigen Tuechern auf den Ruecken gebunden. Auf der Bank daneben sitzt die "westlich" angezogene Familie und die Kinder amuesieren sich beim Taubenfuettern.



Auch eher ungewohnt fuer Europaer ist das Gewusel auf den Maerkten hier. Einkaufszentren gibt es nicht, man kauft alles auf dem Markt. Die Palette reicht von Schuhen ueber Kleider und allen moeglichen Haushaltartikel zu diversen Nahrungsmitteln und natuerlich Fruechten und Gemuese. Fuer mich witzig: normalerweise sehe ich in solchen Menschenmassen rein gar nichts, hier sind die Leute aber so klein, dass sogar ich einen super Ueberblick habe.

Mercado Central


Als wir gestern Abend in einer Pizzeria beim Abendessen sassen, kamen ploetzlich Lot und Koene reingeschneit. Wir haben die beiden seit der Isla Incahuasi nicht mehr gesehen. Kaum zu glauben, dass wir es geschafft hatten, uns im kleinen Uyuni nicht zu treffen, im grossen Potosí jedoch schon.

Calle Ayacucho und La Basilica Catedral


Heute Morgen haben wir jedoch die dunklen Seiten von Potosí gesehen. Hier muss erst mal betont werden, dass es ein extrem zwiespaeltiges Gefuehl ist, als Tourist eine Mine zu besuchen, wo heute noch Maenner unter brutalen Bedingungen ihre Arbeit verrichten. Andererseits verdienen ehemalige Mineros heute ihr Geld mit diesen Fuehrungen, was wohl ein bedeutend besserer, und vor allem gesuenderer" Beruf ist. Die Mineros schienen sich an uns auch nicht zu stoeren, was vielleicht auch damit zusammenhing, dass wir als Geschenk anlaesslich der heutigen Feier Alkohol mitbrachten. Der wurde allerdings nur den Arbeitern ausgehaendigt, die auf dem Weg nach oben waren, in den Minen wird kein Alkohol konsumiert.

Die Minen im Cerro Rico existieren seit ueber 500 Jahren, urspruenglich wurde tonnenweise Silber abgebaut, heute vor allem Zink, Zinn und Blei. Silber gibt es auch noch, aber in kleineren Mengen und sehr weit unten im Berg. Die oberen Lagen sind ausgebeutet, leer. Es hat hier 500 Minen, wovon 200 heute noch in Betrieb sind. Pro Tag werden 2'700 Tonnen Gestein aus dem Berg gefoerdert, 50 Tonnen davon sind brauchbare Mineralien. Insgesamt fuehren 2'000 km Stollen durch den Berg, wo 12'000 Mineros rund um die Uhr arbeiten. Die juengsten unter ihnen sind gerade mal 12-13 Jahre alt und beginnen die Arbeit unter Tag in der Regel nach dem Tod des Vaters um die Familie zu ernaehren. Unfaelle mit Knochenbruechen kommen taeglich vor, jaehrlich gibt es rund 40 Tote, vor allem wegen einstuerzenden Stollen nach Sprengungen.

Dass Mineros frueh sterben, kommt oft vor, da es dort unten im Berg nicht nur wertvolle Mineralien sondern auch viel Arsen gibt. Bei Bohrungen oder Sprengungen wird das Arsen in Form von Staub freigesetzt. Wenn man nun jahrelang diesen Staub einatmet, verstopft mit der Zeit die Lunge, die Maenner erkranken an Silicosis. Symptome dieser Krankheit sind Husten, Kurzatmigkeit, gelbliches Gesicht, Husten von Blut und sogar von abgestorbenen Lungenteilchen etc. (siehe auch http://en.wikipedia.org/wiki/Silicosis). Klingt extrem haesslich und doch ist die Arbeit in den Mienen das Schicksal von ca. 90 % aller Jungs aus den Familien der Mineros.

Mineros bei der Arbeit in der "Powerful Mine"


Die Arbeitsbedingungen in den Minen sind auch nicht gerade wie von einer starken Gewerkschaft ausgehandelt. Die Mineros arbeiten 16-18 Stunden pro Tag, wenn sie sonst ihr Soll (10 Tonnen pro Woche pro Dreiergruppe) nicht erreichen koennen. Alle 2-3 Stunden gibt es eine kurze Pause, vor allem um neue Cocablaetter zu "tanken", etwas zu trinken und vielleicht eine Zigarette zu rauchen. Ausser Coca und Wasser nehen die Maenner keine Nahrungsmittel mit in die Mine, es waere sowieso viel zu staubig um dort zu essen.

El Tio, der Onkel der Mineros


El Tio ist quasi der Gott der Mineros. Jeden Freitag ueberreichen die Arbeiter ihm Cocablaetter, Alkohol und Zigaretten. Er ist hier der Herr, der Reichtuemer austeilt oder eben nicht.

Gemaess unserem Fuehrer haben sich die Arbeitsbedingungen in den Minen in den letzten Jahren eher verschlechtert. Mit der Einfuehrung moderner Bohrer hat sich der giftige Staub vervielfacht, die Schutzausruestung ist jedoch nicht besser geworden. Und anscheinend wird an den meisten Orten der Welt, wo mit solchen Bohrern gearbeitet wird, Wasser verwendet um den Staub zu binden, hier jedoch nicht, aus Kostengruenden.

Wenn der Preis fuer Mineralien hoch ist (wie im Moment), und man in einer guten Mine arbeitet, kann man hier angeblich durchaus wohlhabend werden. Es sind jedoch wenige, die das schaffen, und der (gesundheitliche) Preis, den man dafuer bezahlt, ist in der Regel hoch. Silicosis ist nicht heilbar.

Natuerlich haben auch ein paar Frauen ihren Platz bei den Minen. Einige wenige wohnen be den Minen mit ihren Kindern und sind verantwortlich fuer die Umgebuch der Minen. Sie kochen auch fuer die Arbeiter, wenn diese Ueberstunden machen muessen. Dann arbeiten noch weitere 80 Frauen. Deren Job ist es, die Abfallsteine der Minen zu sortieren um moeglicherweise doch noch ein paar verwertbare Brocken zu finden. Diese Arbeit ist vermutlich die am schlechtesten bezahlte der gesamten Minen.

Heute war fuer die Mineros einer von drei speziellen Feiertagen (letzter Samstag, heute, naechster Samstag), wo Llamas geopfert wurden. Jede Gruppe von Mineros muss an jedem dieser Feiertage zwei Llamas opfern. Deshalb wurde nur am Vormittag gearbeitet, denn es bringt Unglueck, zu arbeiten, wenn die Llamas getoetet werden. Auf dem Mercado de los Mineros konnte man darum heute jede Menge Llamas kaufen. Die weissen Llamas bringen am meisten Glueck, sind jedoch extrem viel teuer als die braunen und gefleckten. Die meisten dieser Opferllamas wurden gefesselt auf den Ladeflaechen von Lastern transportiert, zwei der armen Viecher mussten sogar Bus fahren.

Opferllama im Bus, sieht nicht gerade happy aus.


Nach unserer Minenfuehrung sahen wir der Opferung eines Llamas zu. Das arme Tier wird mit zusamengebundenen Beinen auf den Boden gedrueckt und es wird ihm die Kehle durchgesaebelt (mit einem Messer, das nicht gerade superscharf aussah). Echt krass, das hat bestimmt eine Minute gedauert, bis das Llama tot war. Das Blut wurde mit Tellern aufgefangen und an den Mineneingang gespritzt. Hoffen wir, dass das archaische Ritual den Mineros auch tatsaechlich Glueck bringt.

Der naechste Text kommt voraussichtlich aus La Paz (ca. 10 Tage), vielleicht auch schon aus Oruro (ca. 6 Tage).

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