Um ca. halb neun starteten wir unsere erste Tagesetappe. Das Wetter spielte mit, wie in der Trockenzeit ja zu erwarten war. Bald hatten wir alle Häuser hinter uns gelassen, der Weg stieg nur leicht an. An einem Kontrollposten mussten wir ein Eintrittsticket für 65 Soles (CHF 23)kaufen. Dann ging's weiter durch die Quebrada (Tal) Quillcayhuanca. Wir marschierten etwa fünf Stunden ohne Stress in Richtung erstes Camp. Unterwegs sahen wir noch keine extreme Bergen dafür diverse Pflanzen und Vögel, zu denen wir interssante Erläuterungen erhielten. Z.B. war da jener braune Vogel mit gelbem Bauch, aus dessen Federn die Einheimischen anscheinend eine Art Tee machen, der für problemlose Geburten sorgen soll.
In jenem Tal war die Vegetation mehrheitlich im üblichen gelb-braun-grün gehalten. Einige Büsche hatten jedoch leuchtend rot-orange Blüten, von denen wir erfuhren, dass sie gar nicht zum Busch gehören, sondern dass das eine Art Parasitenpflanze ist, die am Busch wächst. Sieht aber super aus.
Parasitenblüten
Wir kamen um ca. 16 Uhr bei einer grossen, flachen, mit Felsblöcken übersähten Wiese an. Unser erstes Camp auf etwa 4'000 m. Wir stellten das Zelt auf und profitierten schon bald von der Aufmerksamkeit unseres Guías als wir eine Tasse heisse Schokolade und Popcorn ("Canchitas") zum Zvieri erhielten.
Hier noch etwas zu unserem Arragement mit Victor. Da wir ohne Lasttier unterwegs waren, mussten wir unser Futter für fünf Tage selber schleppen. Dazu gab es folgende Optionen: Das wird alles schön fair durch drei geteilt, oder wir nehmen einen Träger mit, was USD 25 pro Tag kostet. Da sowohl Martinas sowie mein Nacken recht anfällig ist und wir uns nicht gewohnt sind, schwere Rucksäcke zu tragen, tendierten wir dazu, jemanden fürs Tragen zu bezahlen. Wenn aber noch eine Person mitkam, mussten wir auch mehr Essen und noch ein Zelt mitnehmen, was das Gesamtgewicht nochmals erhöhen würde. Dazu der Vorschlag unseres Führers: Er spielt Lastesel und kriegt die 25 Dollars selber. Ok, für uns in Ordnung. Leider haben kein Foto von ihm und seinem Riesenrucksack gemacht, aber wir konnten das Teil kaum anheben. Er ist damit fröhlich tagelang rumspatziert, ob flach, auf- oder abwärts schien ihn nicht weiter zu beeindrucken. Krass. Dass er als Gía auch unser Koch war, war für ihn selbstverständlich, für uns ein ungewohnter Luxus.
Unser Frührer, Koch, Sherpa und Clown in Aktion
Martina und ich hatten so nur unsere persönlichen Sachen und etwas weniges wie Bananen, Eier und Avocados zu tragen, was erheblich zum Genuss des Trekkings beitrug. Die ganze Sache war für uns eh wie Ferien. Victor war nicht nur ein guter Führer mit spannender Information zu Land und Leuten, er war auch ein guter Koch, der sehr um das Wohlergehen seiner "Princesas Suizas" besorgt war und uns total verwöhnte. Gibt es z.B. was Schöneres als zum Frühstück heissen Tee und warme "Panqueques" serviert zu erhalten? Unser Spass und das gute Gelingen der Tour lag ihm sehr am Herzen. Beispielsweise meinten wir bei der Planung, es sei kein Problem, wenn er noch mehr Teilnehmer für die Tour finden würde. Obwohl das für ihn mehr Geld bedeutet hätte, wollte er der Harmonie der Gruppe wegen nicht mehr Leute suchen. Offenbar hat er in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht mit zusammengewürfelten Gruppen mit unterschiedlichen Leistungsniveaus. So konnten wir das Tempo, die Pausen und teilweise auch das Tagespensum spontan selber bestimmen, ohne dass es irgendwelche Diskussionen gab. "Ustedes son las Jefas", "ihr seid die Chefinnen" sagte Victor jeweils, wenn es darum ging, an einem Ort zu campen oder noch eine Stunde weiterzugehen.
Tag zwei war ziemlich easy. Wir wanderten etwas über eine Stunde in ein Seitental bis auf 4'400 m, "montierten" das Camp und stiegen dann ohne Gepäck eine Moräne hinauf, von wo aus wir eine Superaussicht auf die umliegenden Gipfel und Geltscher hatten. Einzig die Wolken machten uns etwas einen Strich durch die Rechnung und vernebelten einige Berge und Eisfelder. Natürlich war es wieder sonnig, als wir wieder unten waren.
Obwohl wir auf der Moräne oben zu Mittag gegessen hatten, war ich schon wieder hungrig, als wir das Camp erreichten. Da dies ein unhaltbarer Zustand war, heizte Victor seinen Kocher ein und machte Suppe. Den Rest des Nachmittags lagen wir rum und genossen die Schönheit des Orts. Gegen Abend machten die schon lange drohenden Wolken ernst und es begann zu regnen. Nicht stark, aber zusammen mit der einsetzenden Kälte sehr unfreundlich. Also schickte unser selbstlose Koch uns in die Schlafsäcke und setzte sich selbst in den Zelteingang um das Abendessen zuzubereiten. Sowas ist einfach nicht zu übertreffen.
Auch am dritten Morgen gab's Panqueques zum Frühsück. Mmmm, unschlagbar. Das Terrain stieg dann zum ersten Mal (mit Gepäck) so richtig an und da die Sonne wieder schien wurde uns bald recht warm. Gegen 11 Uhr erreichten wir einige Hausruinen, wo wir unsere Rucksäcke deponierten und einen kleinen Abstecher zur Laguna Tulpa Cocha machten. Früher fielen dort offenbar regelmässig grosse Eisklötze ins Wasser, weshalb einige nette europäische Länder beim Ausfluss des Sees einen massiven Wall gebaut hatten, um die weiter unten liegenden Dörfer vor Flutwellen zu schützen.
Laguna Tulpa Cocha
Bevor die Region zum Nationalpark ernannt wurde, wurden an den Berghängen, auch um die Lagunen heraum, verschiedene Pflanzen gesammelt. Ab und zu kam es dabei vor, dass jemand ins Wasser stürzte und, da viele Leute hier nicht schwimmen können, ertrank. Gemäss einer Legende regnete es danach oft stunden- oder sogar tagelang heftig, was sonst nicht einmal während der Regenzeit vorkam. Mit dieser Legende sollten wir in den folgenden Tagen nochmals Bekanntschaft machen.
Gletscher oberhalb der Laguna Tulpa Cocha
Die Umgebung der Lagune war jedoch nicht völlig verlassen. Offenbar wohnten dort einige Esel, die dem Eindringen der Gringas mit Neugierde begegneten und uns bis zu unseren Rucksäcken zurück folgten. Schliesslich ist das ein Nationalpark, da müssen Besucher genaustens überwacht werden.
Neugierige Besucher oder Kontrolle?
Jetzt kam der härteste Teil des Treks, der Aufstieg zum über 5'000 m hohen Pass Huapi. Es war heiss, der Pfad steil und die Aussicht schlicht umwerfend. Zum Glück waren wir so langsam unterwegs, so hatten wir jede Menge Zeit, die vergletscherten Schönheiten ringsherum zu bewundern. Es war fast surreal und mit Worten unmöglich zu beschreiben, was wir fühlten während wir diese Berge bestaunten. So imposante, elegante und von Menschenhand unbeschmutzte Gipfel. Einziger Wermutstropfen war die Frage, wie lange uns diese Schnee- und Eisfelder dort oben noch erhalten bleiben. Sie werden jedes Jahr kleiner und dünner, wie lange werden sie noch überleben?
Wie ein Stückchen weisse Toblerone, Nev. Andavite, 5'446 m
Ein zweites Mal liessen wir das Gepäck zurück und gingen eine Lagune, die Laguna Cuchilla Cocha besuchen. Danach die Frage, bleiben wir hier oder steigen wir noch höher? Wir fühlten uns fit und entschieden uns, weiterzugehen. Das Gefühl muss eine Täuschung gewesen sein, meine Beine machten bald deutlich, dass sie ein frühes Camp bevorzugt hätten. Pech, zu spät, diese Stunden mussten sie noch durchhalten. Was sie natürlich auch taten, wenn auch widerwillig.
Wir fanden eine einigermassen flache Stelle auf über 4'900 m, für ein Camp doch eher hoch, aber mit unübertroffener Aussicht. Martina und ich stellten das Zelt auf, Victor machte heisse Schokolade, gute Arbeitsteilung. Die Wolken beraubten uns schon bald der letzten Sonnenstrahlen, die weissen Riesen hinter einem kleinen Hügeli leuchteten weiter. Was will man mehr?
Nev. Chinchey, 6'222 m
Panorama vom Camp Nr. 3, 2. von links Nev. Chinchey,
rechts dahinter in den Wolken Nev. Andavite
Eigentlich hatte ich erwartet, auf dieser Höhe nicht so gut zu schlafen, zu meiner Überraschung schlief ich aber in der 3. Nacht am besten. Die Nacht war auch bei weitem nicht so kalt wie erwartet. Nach Mitternacht begann es zu regnen oder zu schneien und es klang nach so viel Niederschlag, dass es mich nicht überrascht hätte, wenn am Morgen alles weiss gewesen wäre. Was wir vor dem Zelt vorfanden, waren nur wenige Überreste von nassem Schnee, die fast verschwunden waren bis wir aufbrachen. Trotzdem, dieses Wetter motivierte uns nicht wirklich, aus dem warmen Schlafsack zu kriechen.
Am frühen Morgen auf fast 5'000 m
Nach zwei Tassen heissen Tee und zwei feinen Pancakes packten wir einmal mehr ein nasses Zelt ein und stiegen auf den Paso Huapi hoch. Dort oben warteten wir eine ganze Weile auf die Sonne, die sich auch tatsächlich zwischenzeitlich kurz zeigte, die beiden dominanten Gipfel des Tages, Ranrapalca und Palcaraju, beide über 6'000 m hoch, wollten sich nicht zeigen. Schade, von hier aus hätten wir bei gutem Wetter eine kaum zu übertreffende Aussicht gehabt. Als sich die Wolken über uns wieder verdichteten und teilweise sehr bedrohlich grau aussahen, machten wir uns auf den Abstieg in die Quebrada Cojup. Der obere Teil des Weges war sehr steinig, hier wollten wir nicht von Regen oder gar Schnee eingeholt werden.
Auf dem Pass Huapi, über 5'200 m, eingenebelt
im Hintergrund Nev. Ranrapalca, 6'162 m
Unten im Tal angekommen, began es tatsächlich zu regnen und wir hatten Glück, einen halbwegs geschützten Platz fürs Mittagessen zu finden. Nach diesen steilen 1'000 m Abstieg war der Rest des Tages easy. Es ging flach durchs Tal, mal mit Regen, mal trocken. Schon um 14 Uhr hatten wir eine mögliche Campsite erreicht und da es uns dort gefiel, blieben wir. Wir schafften es gerade knapp, das Zelt aufzustellen, bevor es ernsthaft zu regnen begann. Auch hier wurden wir von den aufmerksamen Augen einer Eselfamilie beobachtet und auf Schritt und Tritt begleitet. Was mögen diese drei Humanos wohl im Sinn haben? Irgendwann war die Neugierde der Esel befriedigt und sie wurden von einer schwarzen Kuh abgelöst. Anscheinend hatten aber Kühe hier schon einmal ein Zelt aufgeschlitzt, weshalb wir unser Bestes gaben, das Vieh zu vertreiben. Mit Schreien, Stock und Steinen. Wirklich beeindrucken liess sich das Horntier aber nicht, flüchtete jeweils ein paar Schritte und kam dann zurück. Unser Zelt überlebte die Nacht aber unbeschadet, irgendwer hatte aber einen Nagel aus der Erde gerupft. Immer diese Rindviecher...
Am fünften Tag blieben noch ca. 3 Stunden durch flaches Terrain bis zum Dorf Llupa, wo der Trek begonnen hatte. Es war zwar einigermassen sonnig, die Berge blieben jedoch von Wolken verdeckt, da konnten wir noch so oft zurückschauen. Soviel zum Thema Trockenzeit. Eigentlich hätte es keinen Tropfen regnen dürfen. Victor fragte sich, ob wohl irgendjemand irgendwo in einer Lagune umgekommen war. Kurz vor Mittag waren wir schon zurück in Huaraz, von einem Todesfall haben wir bisher aber nichts gehört.
Und die Moral von der Geschichte:
- Trekking in den Bergen der peruanischen Region Ancash ist etwas vom Schönsten, dass man sich vorstellen kann.
- Einen guten Koch zu haben, ist der coolste Luxus, den man sich vorstellen kann.
- Nach einem schönen Trek wieder in eine überfüllte, chaotische Stadt zu kommen, ist etwas vom Unerfreulichsten, dass man sich vorstellen kann.
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