Am 25. Juni morgens um halb sechs ging's los in Richtung Parque Nacional Manú, der etwa eine Tagesreise von Cusco entfernt im Amazonas liegt. Wie in Peru so üblich, ging es erst mal über zwei hohe Pässe. Dort konnte ich einmal mehr die hochliegenden Felder bewundern und mich fragen, wie die Leute solche Felder überhaupt bewirtschaften. Schon in Bolivien hatte die Landschaft ja oft wie eine Plätzendecke ausgesehen, aber hier scheinen die Leute noch höhere und steilere Berge in Kulturlandschaft umzuwandeln.
Beim Frühstück in einem kleinen Dorf lernten wir uns ein Bischen kennen. Das "Betreuungsteam" unserer Gruppe bestand aus unserem Führer Jorge, dem Koch Siro und dem Fahrer Lester, der uns allerdings nur bis Atalaya, einem noch kleineren Dorf im Wald bringen würde, wo wir auf ein Boot umstiegen. Die anderen Teilnehmer der Tour waren Mirka aus Finnland, Paul und Dominique aus den Niederlanden und Samira aus England.
Die erste Sehenswürdigkeit der Reise war Ninamarca, wo sich prä-Inka Grabstätten befinden. Anscheinend hatten die Quechua diesen heiligen Ort sehr wohl respektiert und intakt gelassen, während die Spanier natürlich nichts besseres wussten, als alles auszuräumen, was es hier an Wertvollem gab. Die Grabhäuschen sind alle nach Westen ausgerichtet, der Richtung der untergehenden Sonne, da die Toten die Sonne ja nie mehr sehen würden.
Chullpas, Grabstätten in Ninamarca
Nach diesem ersten Pass ging's nach Paucartambo, einem typischen kolonialen Städtlein. Dort leben gemäss Jorge noch Nachfahren der spanischen Eroberer, die anscheinend noch genauso rassistisch sind, wie es die Conquistadores waren. Jorge, ein "Mischling" mit dunkler Hautfarbe war dort einmal aus einem Laden gejagt worden, wo er seine Kunden hinbringen wollte.
Gemäss Jorge herrscht in Peru auch heute noch, was er als kulturellen Rassismus bezeichnet. Quechua ist zwar eine offizielle Landessprache, in den Städten ist sie jedoch kaum mehr präsent und in den Schulen wird Quechua nicht unterrichtet. Viele Leute, die aus den Anden nach Lima ziehen, wo am meisten spanischstämmige Peruaner wohnen, hören auf, Quechua zu sprechen und selbst wenn sie zurückkehren, weigern sie sich, die Sprache ihrer Vorfahren zu benutzen. Im Unterschied zu Bolivien, das stolz ist auf seine indigene Vergangenheit und Gegenwart, und sich darum offiziell als "Estado Plurinacional" bezeichnet, gibt es in Peru keine Bewegung, die den Indígenas zu mehr Ansehen in ihrem eigenen Staat verhelfen will. Schade.
Nach Paucartambo wartete der zweite Pass auf uns. Im Dorf unten war es recht warm gewesen, je weiter wir wieder in die Höhe kamen, desto mehr kühlte sich die Luft ab. Auf der Passhöhe beginnt der Manú Nationalpark, der in drei Zonen eingeteilt ist. Es gibt eine Kernzone, in die niemand ausser Forscher mit spezieller Bewilligung reindarf. Dort wohnen auch noch indigene Völker, die seit den spanischen Missionaren keinen Kontakt mit Weissen mehr hatten und ihn wegen den schlechten Erfahrungen auch nicht wollen. Dann hibt es ein kleineres Gebiet, wo einige wenige Reiseagenturen mit ihren Touren rein dürfen, dort gibt es auch Unterkünfte und einen Zeltplatz. Da wor wir hingingen ist die Kulturzone, wo es mehrere Dörfer und diverse Lodges gibt und die landwirtschaftlich genutzt wird.
Gleich auf der anderen Seite des Passes ist die Grenze zwischen Grassland und Bosque de Nubes, dem Nebelwald. Das ist echt interessant, oberhalb der Strasse wachsen nur Gras und Büsche, darunter ist dichter Wald. Dort oben erhielten wir eine kleine Lektion in peruanischer Geschichte, bzw. ihrer Auswirkungen auf die Gegenwart. Gemäss Jorge leben sowohl in den abgelegenen Bergdörfern wie auch recht weit im Regenwald Menschen mit europäischem Aussehen, obwohl es dort weit und breit keine Europäer gibt. In den Bergen seien diese Leute Nachfahren der Opfer spanischer Massenvergewaltigung die in die abgelegenen Regionen geflüchtet seien. Im Regenwald sind sie ebenfalls Nachfahren von Vergewaltigungsopfern, hier waren die Täter aber nicht Soldaten sondern Missionare.
Die Strasse durch den Nebenwald weckt Erinnerungen
an die Death Road in den bolivianischen Yungas
Von knapp 4'000 m Höhe führte die schmale, holprige und staubige Erdstrasse runter bis auf eine Höhe von etwa 800 m. Unterwegs hielten wir an, um den Gallito de las Rocas, den peruanischen Nationalvogel zu höhren und allenfalls sogar zu sehen. Das ist ein seltener rot- oder orange-schwarzer Vogel, mit einer seltsamen Ausbuchtung über dem Schnabel. Und tatsächlich, einige Meter von der Strasse, zwischen den Blättern entdeckten wir einen roten Fleck. Jorges Feldstecher erwies sich hier als sehr nützlich, denn näher rangehen war natürlich nicht möglich.
Beim Ort unseres Mittagshaltes befanden sich jede Mengen rot-schwarze schöne Schmetterlinge. Leider sind die Viecher nicht gerade schlau, die meisten waren von Autos plattgefahren. Offensichtlich raffen die nicht, dass die Strasse ein schlechter Ort zum ausruhen ist, und wenn schon, man vor Autos flüchten muss.
Wir fuhren weiter und weiter, immer bergab durch das steile Tal und plötzlich war alles flach, wir waren in der Ebene angekommen. Hier fuhren wir durch ein paar kleine Siedlungen und kamen gegen 17 Uhr in Atalaya an, wo schon unser Boot auf uns wartete. Was für eine Menge Gepäck (wohl vor allem Essen) auf das Dach gepackt gewesen war, fiel uns erst auf, als das alles in das Boot umgeladen wurde. Nach etwa 20 Minuten Fahrt auf dem Fluss erreichten wir die Soga de Oro Lodge, unsere Unterkunft für die nächsten drei Nächte. Schon an diesem ersten Abend stellten wir fest, dass wir mit Siro einen ausgesprochen guten Koch hatten, was wir in den nächsten Tagen noch einige Male würdigen konnten.
Als wir am Flussufer den Vollmond bestaunten und miteinander plauderten, machte Mirka, die Finnin eine unschöne Entdeckung. Sie hatte nämlich eine 5-tägige Tour gebucht und bezahlt und fand jetzt heraus, dass sie auf einem 4-tägigen Trip war. Auch Paul und Dominique staunten nicht schlecht, als ich sagte, dass ich USD 270 bezahlt hatte, während sie, natürlich in einer anderen Agentur, ganze USD 400 pro Person geblecht hatten. Wenn man die Agenturen auf die zum Teil hohen Preisunterschiede anspricht, behaupten die immer, der Unterschied liege in der Qualität der Führer und der Unterkunft. Dass ein Einzelzimmer mit eigenem Bad mehr kostet als ein Mehrbettzimmer mit geteiltem Bad ist allen klar, aber wir hatte ja alle den gleichen Führer und die gleiche Unterkunft und trotzdem massiv unterschiedliche Preise bezahlt.
Gleich in der ersten Nacht verpasste ich die Action, die die anderen eine ganze Weile wachgehalten hatte. In der Lodge gab es keine Elektrizität also war jedes Zimmer mit Kerzen ausgestattet. Einer unserer Staff ist offensichtlich eingeschlafen ohne die Kerze auszulöschen und sein Moskitonetz hatte Feuer gefangen. Unser 14-jährige Boots- und Küchengehilfe ist Jorge wecken gegangen, der den Brand dank Feuerlöscher und Wassereimer erst mal löschen konnte. Nach kurzer Zeit ist stand die Matratze aber wieder in Brand, das Feuer war nur oberflächlich tot gewesen. Also warfen sie die Matratze in den Garten und kippten mehr Wasser darauf. Im Zimmer ging das schlecht, da das Wasser schon durch den Boden auf Pauls Bett tropfte. Ausser mir hatten alle die Aufregung mitbekommen, jedoch ohne zu wissen, was los war. Was die anderen Ladies offenbar ziemlich beunruhigt hatte.
Am nächsten Morgen standen wir früh auf und fuhren mit dem Boot zu einer Art Erdabbruch, wo am frühen Morgen jeweils Papageien die mineralhaltige Erde essen kommen. Wieso sie das machen, ist nicht ganz klar, eine Theorie sagt, dass sie einfach zusätzliche Mineralien brauchen, die andere Theorie sagt, dass sie in der Trockenzeit viele giftige Samen unreifer Früchte essen und die mit dieser Erde neutralisieren können. Wir kamen vor sechs Uhr dort an und beobachteten durch Jorges Teleskop die Vögel, die in den Bäumen oberhalb des Abbruchs sassen. Dort kundschaften sie aus, ob irgend ein Räuber (z.B. Falke oder Affe) auf sie wartet. Immer wieder flogen einzelne Vögel oder ganze Schwärme im Kreis herum aber offensichtlich konnten sie sich nicht entscheiden, runterzugehen. Jorge meinte, wenn es bewölkt sei, sei die Sicht für die Vögel nicht gut genug und sie kämen darum oft nicht. Tja, das war eben Pech, aber schliesslich waren wir nicht im Zoo.
Wir frühstückten dort am Flussufer und nachten danach eine Wanderung durch den Wald. Die ersten Viecher, die wir sahen, waren Soldaten-Ameisen. Diese fast 1.5 cm grossen Ameisen bewachen die Arbeiterinnen ihres Volkes und greifen alles an, was bedrohlich oder essbar sein könnte. Anscheinend kommt es vor, dass diese Ameisen sogar auf kleinere Schlangen losgehen. Mit ihrem Gift lähmen sie die Schlange, die dann von den Arbeiterinnen in den Bau geschleppt und dort bei lebendigem Leib aufgefressen wird. Nicht wirklich nett.
Da wir uns in der Kulturzone des Nationalparks befanden, sahen wir auch Bananen- und Manjokplantagen. Dort wuchsen u.a. die rötlichen Bananen, die wir in La Paz einige Male kauften und die wir viel lieber mochten als die normalen gelben. Noch interessanter waren aber beispielsweise Palmen, die sich mittels 10 cm langen, dünnen Stacheln noch möglichen Feinden schützen. Andere Bäume gehen Symbiosen mit Ameisen ein. Die Ameisen wohnen im und am Baum und trinken einen speziellen Saft, den der Baum produziert. Im Gegenzug beschützen sie den Baum vor Spechten, Pflanzenfressern und Baumfällern. Wer sich am Baum zu schaffen macht, wird gebissen und das soll sehr schmerzhaft sein. Wer versucht, den Baum zu fällen, wir von Ameisen angegriffen, die sich von den Ästen fallen lassen.
Stachelige Palme
Unter den wenigen Tieren, die wir sahen, befanden sich neben den Ameisen viele Spinnen, einige Käfer und Schmetterling und eine Eidechse. Alle dieser Vicher sind recht schwer zu fotografieren, die Spinnen, weil sie so feingliedrig sind, Käfer und Eidechsen, weil sie wegrennen und die Schmetterlinge, weil sie absolut hyperaktiv sind und nie stillsitzen können. Dieser fast 2 cm grosse Käfter ist einer der wenigen, die stillgehalten haben.
Da es in einem Regenwalt bekannterweise sehr feucht ist, wachsen dort auch diverse Pilze. Die schönsten darunter waren eindeutig diese leuchtend orangen, die anderen waren alle weiss, bräunlich oder schwarz.
Wir spatzierten eine ganze Weile durch den Wald bis wir schliesslich zum Lago Machuwasi kamen. Dort versuchte ich nochmals vergebens, einige wunderschöne Schmetterlinge zu fotografieren. Dann stiegen wir auf eine Art schmales, wackliges Floss mit ein paar Bänken. Ganz langsam stachelte Jorge uns durch das Wasser, wo es zur Abwechslung wirklich viele Vögel zu sehen gab. Auf einem Baum stritten sich zwei Paare Oropendola-Vögel um den besten Brutplatz, andere, schöne schwarz-gelbe Vögel durven die ganze Zeit über den See. Als bessere Ziele für uns Hobby-Fotografen eigneten sich die Vögel, die Jorge als Stinky Birds bezeichnete. Die schützen sich vorm Gefressenwerden mit einem übelst stinkenden Sekret, nach dem der ganze Vogel und auch sein Fleisch riecht, und die deshalb von allen Fleischfressern verschmäht werden.
Stinky Bird
Auf der anderen Seite des Sees schauten wir uns wieder einige Pflanzen an, beobachteten mehr Vögel und machten eine kleine Pause. Dann kehrten wir zur Lodge zurück, wo Siro mit dem Mittagessen auf uns wartete.
Ananaspflanze am Lago Machuwasi
Unser Trupp auf dem wackligen Floss
Am Nachmittag wanderten wir stundenlang durch den Wald und bestaunten vor allem Insekten und Pflanzen und höhrten Jorges Erklärungen zu. Originell war zum Beispiel ein dreidimensionales Spinnennetz, das dutzende oder gar hunderte Spinnlein zusammen gebaut haben. Oder die Liane, die wegen ihren gekrümmten Dornen Uña de Gato, Katzenkralle genannt wird und die ein Heilmittel gegen Krebs enthält. Als es dunkel wurde, hörten wir einen Nachtaffen, die einzige nachtaktive Affenart in der Region, rufen und in einem Tümpel reflektierte das orange Auge eines Alligatoren das Licht unserer Taschenlampen.
Endlich hält mal einer still!
Eigentlich war für diesen Abend nochmals ein Spatziergang geplant um mehr Alligatoren, bzw. deren Augen zu sehen. Da es aber in Strömen zu regnen begann und der ganze Weg verschlammt war, wurde diese Aktivität verschoben. Ebenfalls der zweite Versuch, die Papageien beim Erdabbruch zu sehen, fiel ins Wasser, da es am Morgen immer noch wie blöd schiffte. Wir nahmen den Vormittag also recht gemütlich und hörten Jorges Stories über sichtbare Seelen Verstorbener auf den Strassen oder böser, seelenfressende Dämonen in den Bergen zu.
Als der Regen aufgehört hatte und der Boden wieder etwas trockener war, unternahmen wir den nächsten Spatziergang. Hier mussten wir erst mal umdisponieren, da die geplante Route am Flussufer entlang führte, dieses jedoch komplett unter Wasser stand. So gingen wir eben hügelaufwärts. Diesmal sahen wir einen an einem Baum hängenden, bestimmt zwei Meter langen Termitenbau, einen Flaschenbaum, einen Mahagonibaum und eine zuminest optisch recht interessante Palme. Diese Palme wächst sehr hoch, ist dabei aber recht dünn. Um ihr Fundament zu verstärken, lässt sie ca. einen bis zwei Meter über Boden weitere Wurzeln wachsen, die dann eine tipiartige Verstärkung bilden. Wenn diese Wurzeln erst am Wachsen sind, den Boden aber noch nicht erreicht haben, sieht das dann etwa so aus:
Nach dem Abendessen holten wir die Alligatoren-Wanderung nach. Hier hatten wir Glück und sahen in der Dunkelheit tatsächlich zwei leuchtend orange Augenpaare. Auf dem Rückweg durch den Wald hörten wir den Ruf einer Ratte, die bis zu 30 cm gross wird, sich jedoch höchst selten zeigt. Auf dem Rückweg auf dem Fluss war der Steuermann einen Moment lang unaufmerksam bzw. schaute in die andere Richtung und bemerkte erst im letzten Moment, dass wir frontal auf das Ufer zurasten und fast kollidierten. Im Dunkeln in einen Hochwasser führenden Fluss gekippt zu werden, wäre vermutlich nicht gerade witzig gewesen.
Am Morgen darauf hiess es schon wieder Abschied nehmen vom Regenwald. Ich unternahm noch einen letzten Versuch, die Kolibris zu fotografieren, die die ganze Zeit um die Büsche unserer Lodge flitzten. Ich hatte diese winzigen Vögelchen schon lange beobachtet, aber wenn es schwierig ist, Schmetterlinge zu fotografieren, dann ist es schier unmöglich, einen Kolibri zu erwischen. Diese kleinen Flatterviecher sausten nicht nur den ganzen Tag lang um die Blüten um dort Nektar zu trinken, sie verteidigen "ihren" Busch auch gegen Konkurrenten und führen manchmal regelrechte Luftkämpfe.
Das hier ist das Beste, das mir gelungen ist. Leider sieht man hier nicht, wie bunt dieser Vogel eigentlich ist. Der Kopf ist blau gefärbt, Brust und Rücken sind grün und der Schwanz rostrot. Und das alles in super leuchtenden Metallic-Farben, mega schön. Sieht ähnlich aus wie diese kleinen Christbaumschmuck-Vögelchen.
Golden-Tailed Saphire Kolibri
Schliesslich war alles gepackt und ins Boot verladen. Wir genossen die letzten 20 Minuten Fahrt auf "unserem" Fluss und schon waren wir wieder in Atalaya angekommen. Unser Bus wartete schon und innert kürzester Zeit war alles eingeladen und wir fuhren los. Netterweise stoppten wir nach einer Weile wieder, um die Region noch von oben zu sehen.
Parque Nacional Manú
Im kleinen Dort Pillcopata machten wir nochmals Halt, irgendwas stimmte mit einem Rad nicht. Während der Fahrer am Auto rumbastelte, gingen wir in eine Art Restaurant einen Kaffee trinken. Zu meiner Überraschung werden dort Herbalife-Drinks verkauft. Herbalife ist eine amerikanische Firma, die spezielle Vitamin- und Proteindrinks herstellt, die der Nahrungsergänzung dienen und schweineteuer sind. Und sowas ausgerechnet in diesem Urwald-Kaff, wo die Leute bestimmt nicht reich sind! Aber es gibt nichts, dass es nicht gibt.
Bird of Paradise im Nebelwald
Mittwoch, 30. Juni 2010
Mittwoch, 23. Juni 2010
Abschied in Cusco
Wir nahmen also einen Bus nach Cusco, damit Flo seinen Heimflug am 23. Juni erwischt. Da der Bus ein moderner war, d.h. das Gepäck kam unten rein und nicht aufs Dach, mussten die Velos in Schachteln verpackt werden. Pracktischerweise gibt es am Busterminal von La Paz diverse Stände, wo man seine Sachen verpacken lassen kann, z.B. auch Velos. Wir verteilten unsere drei Drahtesel auf drei der Läden und so ging das ruck zuck. Im Gepäckraum des Buses hatte es sogar problemlos genügend Platz, von Argentinien waren wir anderes gewohnt.
So eine Busfahrt ist bekanntlich eher ereignislos und langweilig, darum ist es gar nicht schlecht, dass es ab und zu eine Polizeikontrolle gibt. Konkret heisst das, dass der Bus plötzlich hielt, alle mussten aussteigen und sich in eine Schlange stellen, wir glaubten uns schon an der Grenze. Da wurden aber nur kurz die Pässe durchgeblättert, dann stiegen wir wieder ein. Wir waren einigermassen verblüfft ab der Aktion, aber wir verstehen schliesslich auch nicht alles.
Irgendwann kamen wir tatsächlich im Dorf Desaguadero an. Dort fliesst der gleichnamige Fluss durch, der einzige Ausfluss des Lago Titicaca. Und dort verläuft auch die Grenze zu Perú. Also wieder aussteigen und anstehen. Also wir schon recht weit vorne waren, wurden wir darauf aufmerksam gemacht, dass wir in der falschen Schlange stehen, in der nur für Peruaner. Super, vielen Dank für die frühzeitige Information! Wir wechselten zu einer anderen, viel längeren Schlange und waren froh, gerade noch rechtzeitig dort hinübergewechselt zu haben. Kurz darauf kamen wohl etliche Busse an und die Schlange wurde entsprechend länger. Allerdings, Flo fehlte immer noch. Als wir unseren Anstehort gewechselt hatte, wurden unsere Pässe kontrolliert und Flo blieb dort hängen. Anscheinend vermisste der Beamte irgendeinen Stempel und verbrachte bestimmt eine Viertelstunde mit der Suche. Schliesslich gab er auf (es fehlt aber kein Stempel, alles korrekt und vollzählig).
Mit unseren Ausreisestempeln in den Pässen überquerten wir den Fluss und stellten uns in die nächste Schlange, hier für die Einreise nach Perú. Das dauerte auch so seine Weile, glücklicherweise wurde für Ablenkung gesorgt. Die Zollbeamten wollten nämlich unsere Velos sehen. Autsch, wieso denn dass? Wir hatten kein Packband dabei, wenn die Kartons mal offen wären, blieben sie es auch. Ich meldete mich freiwillig, mit den Beamten verhandeln zu gehen. Dort wurde ich erst mal angeschnautzt, ob wir die Velos via Iquique (Zollfreihafen in Chile, von wo aus viele Güter nach Bolivien kommen) eingeführt hätten. Ich erklärte, dass die Velos nicht neu seien und dass wir nicht von Iquique kämen, sondern Argentinien und Chile durchquert hätten. Aha, wir seien mit den Rädern unterwegs? Ja, genau, normalerweie radeln wir, hier nehmen wir den Bus, um etwas Zeit zu sparen. Ok, so sahen die Dinge schon anders aus. Aber ob wir die Velos deklariert hätten? Haben wir nicht, wir hatten das Zollformular nicht geschnallt. Also musste ich unsere Formulare aus dem Stapel aller Formulare unseres Busses raussuchen und das Versäumte nachholen (die ausgefüllten Formulare sind im Bus wieder eingesammelt und alle zusammen dem Zoll übergeben worden). Da nur Gegenstände mit einem Wert von bis zu USD 1'000 zollfrei eingeführt werden dürfen, machte ich auf Understatement und schrieb USD 500 hin, was fraglos akzeptiert wurde. Dazu entschuldigte ich mich schuldbewusst und schon blickten die finsteren Herren wieder freundlicher.
Als wir endlich im Gebäude der Migración angekommen waren, wunderten wir uns auch nicht mehr über die lange Wartezeit. Der obligate Fernseher, der normalerweise in Richtung Wartende zeigt, war den Beamten zugedreht, die vermutlich die halbe Zeit Fussball schauten anstatt Pässe zu stempeln. Wir kriegten aber problemlos die benötigten 90 Tage Aufenthalt und konnten beruhigt wieder in den Bus steigen. Ah ja, wir hatten auch noch unsere Zollformulare zurückgekriegt, schön mit einem Stempel "controlado" versehen. Auch unsere Velos befanden sich jetzt offiziell und legal im Land.
In Cusco angekommen, mussten wir mit unserem Gepäckberg fertigwerden. Zu Dritt sein ist da extrem praktisch. Jemand wartet beim Ort, wo man das Gepäck hinschleppt, jemand schleppt und jemand wartet dort, wo alles ausgeladen worden ist. Irgendwie hatte aber unsere Hostal-Reservation für Cusco nicht geklappt und wir wurden am Terminal nicht abgeholt. In diesem Land ist sowas aber kein Problem, uns wurde gleich ein anderes Hostal angeboten, zum gleichen Preis. Offensichtlich ist die Stadt nicht ganz so voll, wie wir angenommen hatten. Die eingepacken Velos mit dem Taxi zu transportieren, sei ganz bestimmt auch kein Problem. Wir waren hier nicht so zuversichtlich, passiert ist aber unglaublicherweise nichts.
Velotransport auf Taxidach
Da in der Stadt gerade Fiesta war, konnten wir mit dem Taxi nicht zu dem geplanten Hostal fahren. Die Dame schien aber Beziehungen zu diversen Hostales zu haben, jedenfalls konnte sie uns problemlos ein anderes anbieten. Wir könnten am nächsten Morgen ja wechseln. Haben wir auch gemacht, aber nicht zu der empfohlenen Unterkunft direkt an der Plaza de Armas (Fiesta = viel Lärm), sondern zu einem anderen, welches unsere Vermittlerin auch empfehlen konnte. Dort hatten wir auch einen grossen Innenhof, wo Martina und ich gemütlich unsere Velos zusammenbauen konnen. Flo liess seins im Karton, er brauchte es ja nicht mehr und konnte sich so ein weiteres Einpacken für den Flug sparen.
In Cusco war wie gesagt tagelang Fest und die Plaza de Armas permanent verstopft mit Umzügen. Nach einer Weile zuschauen hatte man die Sache aber gesehen. Da kamen alle möglichen Gruppen, die meisten tanzten irgendwie, einige marschierten einfach nur durch die Strassen.
Plaza de Armas, im Vordergrund eine Tanzgruppe, im Hintergrund die Catedrál
Um die architektonischen Künste der Inkas gebührend zu würdigen, besuchten Flo und ich die Ruinen um Cusco. Die grösste davon ist Saqsayhuaman, eine riesige, ehemalige Tempelanlage, die natürlich, wie fast alles hier, von den Spaniern plattgemacht wurde (sie glaubten, es sei eine Festung). Es steht aber noch genug von der auf drei Ebenen gebauten Anlage, um die geniale Bautechnik zu erkennen. Hier wurde kein Mörtel oder andere "Kleber" verwende, die Steine sind einfach auf- und ineinander gestellt. Es sind aber keine Quader, keine zwei Steine haben die gleiche Form. Sie sind aber so perfekt aufeinander abgestimmt und so fein geschliffen, dass dazwischen kein Pflänzen oder Moos gewachsen ist. Gemäss unserem Führer und den Angaben im Inkamuseum wurden diese Steine mit Bronzewerkzeugen zugehauen und danach mit Wasser und Quarzsand geschmirgelt.
Puerta del Sol in Saqsayhuaman
Nach Saqsayhuaman besuchten wir noch die Ruinen Q'enqo, Pukapukara und Tambomachay. Von den ersten beiden ist recht wenig erhalten geblieben. In Q'enqo hatten wir keinen Führer, darum wissen wir auch nicht, was dort mal gestanden hatte. Pukapukara soll anscheinend eine Art Kontrollposten vor Qusco gewesen sein, dort führt auch der Inkatrail nach Machu Picchu durch. Was genau Tambomachay darstellt, wissen wir auch nicht, vermutlich auch eine Art Tempel mit einem noch intakten Wasser-(Bewässerungs-?)System. Dass dort mal ein Tempel gestanden hat, vermuten wir wegen den vier fensterartigen Nischen, in die Kultobjekte gestellt wurden.
Ruinen von Tambomachay
Am folgenden Morgen besuchten wir alle drei das Inkamuseum, wo die gesamte Besiedlungsgeschichte der peruanischen Anden dargestellt ist, die natürlich lange vor den Quechua (Inka wurde nur der Herrscher genannt) beginnt. Während die Anden schon um 5'000 vor Christus bevölkert waren, expandierte der Staat der Quechua erst im 13. bis 16. Jahrhundert. Als die Spanier hier ankamen, reichte das vom Inka kontrollierte Gebiet "Tawantinsuyo", das Reich der vier Regionen, vom Norden Argentiniens und Chiles bis nach Kolumbien und von der Küste bis in den Amazonas. Wie man ein solches Riesenreich mit einer so anspruchsvollen Geographie mit den damals verfügbaren Mitteln regieren konnte (hier gab es keine Pferde, die Leute gingen zu Fuss), ist mir ein Rätsel.
Hier in Cusco wurde der Mercado San Pedro bald zu einem Lieblingsort von Flo und mir. Dort gibt es nämlich Fruchtsäfte, die jeweils gleich nach Wunsch gepresst und gemixt werden. Während wir auf der Lagunenroute rein gar nichts Frisches hatten und uns bald um unsere Vitaminversorgung sorgten, ist das hier das reinste Schlaraffenland. Jeden Tag ein oder zwei verschiedene Säfte nach Wahl, und pro Portion ist das etwa ein halber Liter, der 3.5 bis 4 Soles, also etwa CHF 1.50 kostet. Paradisisch!
Rina, meine Lieblings-Saftfrau
Schon bald aber war Mittwoch und hiess es Abschied nehmen. Dass Flo am 23. Juni nach Hause fliegen würde wusste ich ja, dass aber Martina für nochmals eine bis zwei Wochen zurück nach La Paz wollte, kam als nicht so schöne Überraschung. Nach der 3-wöchigen Pause wäre ich eigentlich motiviert gewesen, bald wieder aufs Velo zu steigen und die über 1'800 km nach Trujillo in Angriff zu nehmen. Nicht so Martina. Flos Reisetempo hat sie anscheinend etwas überfordert und sie braucht eine längere Pause. Also nahm sie, ebenfalls am 23. Juni, ein Bus zurück nach La Paz und ich war mit einem Schlag alleine. Eher frustriert buchte ich eine 4-tägige Tour in den Manú Nationalpark (im Regenwald) und einen Platz für Inti Raymi, das Sonnenfest anlässlich der Wintersonnenwende.
Iti Raymi
Am 24. Juni findet in Cusco das Sonnenfest statt. Ursprünglich fand es natürlich am 21. Juni statt, wurde aber von Feiern für spanische heilige verdrängt und schliesslich erst mal verboten. Seit einigen Jahren gibt es das für die andine Kultur sehr wichtige Fest wieder. Die Quechua verehrten die Sonne als ihren höchsten Gott und der drohte sie zu verlassen. Also musste er während einer grossen Feier vom Inka und seinen höchsten Generälen persönlich angefleht werden, zu seinem Volk zurückzukommen. Was er nach dem 21. Juni ja auch macht.
Ich war also an jenem Morgen Teil einer grösseren "Schafherde", die ihrem Hirten hinterherläuft. Erst ging's zum Sonnentempel in Cusco, wo schon eine riesige Mengschenmenge auf den Beginn der Feierlichkeiten wartete. Zum Glück steht dieser Tempel auf einem Hügel, sonst hätte es dort nicht viel zu sehen gegeben. Nach ein paar Minuten kamen bunt bekleidete Tänzerinnen aus einer Tür und bewegten sich zur Musik eines mitwandernden, hauptsächlich aus diversen Flöten und Trommeln bestehenden Orchesters den Hang herunter. Kaum waren sie unten auf der Wiese angekommen, kam die nächste Gruppe. So ging das eine Weile, jede Gruppe hatte ihren eigenen Tanz und war in andere Farben gekleidet. Unten auf der Wiese gingen die Tänze weiter, ausser einigen sich bewegenden Federn habe ich aber nichts mehr gesehen.
Dann wurde es mit einem Schlag still und oben beim Tempel, ganz in gold, erschien der Inka. Er begrüsste die Sonne auf Quechua und verschwand kurz darauf wieder. Anscheinend wiederholte sich diese Szene später auf der Plaza de Armas, unsere Gruppe ging aber zu unserem wartenden Bus, der uns nach Saqsayhuaman raufbringen sollte. Die Fotos von diesem ersten Teil sind leider aus lichttechnischen Gründen nicht wirklich brauchbar.
Wir fuhren in der Zwischenzeit zu den grossen Tempelruinen hinauf, wo wir anschliessend gute drei Stunden auf unserem Hügel rumhängten und warteten. Mit nur einer knappen Stunde Verspätung erschienen gegen 14 Uhr die ersten farbigen Gruppen wieder. Hier oben nahmen viel mehr Gruppen teil als in der Stadt, nicht nur Tanzgruppen sondern auch Soldaten.
Tänzerinnen beim Einmarsch in Saqsayhuaman
Im Vordergrund eine Gruppe Soldaten, im Hintergrund
eine einmarschierende Gruppe Tänzer/innen
Bestimmt etwa zwanzig Minuten lang war die Fläche von den quirligen Tänzern und Soldaten in Beschlag genommen bis endlich der Inka wieder auftauchte. Anscheinend geht er jeweils nur wenige Schritte, wenn er "weitere Distanzen" zurücklegen muss, wird er getragen. Alle auf der Fläche Anwesenden kauerten sich mit gesenkten Kopf hin und blieben während der ganzen Feier mehr oder weniger so. Auf mich wirkte das Ganze ein Bischen wie bei Asterix und Obelix bei den Ägyptern wenn Kleopatra erscheint.
Die anschliessenden Zeremonien dauerten ziemlich lang und wurden ausschliesslich auf Quechua gehalten, weshalb mir die Details verschlossen blieben (ich habe noch nicht alles nachgelesen). Jedenfalls gab es erst einen Teil wo viel geredet wurde, dann wurde der Sonne Chicha, ein heiliger Drink aus Mais, geopfert. Dann wurden traditionellerweise ein weisses und ein schwarzes Llama geschlachtet, die die Balance von Tag und Nacht darstellen sollen. Hier wurde nur ein schwarzes Llama geopfert, wobei ich den Eindruck hatte, dass nur so getan wurde, als ob. Diese traditionelle Opfer-Schlachtmethode war auch ziemlich krass. Gemäss Inkamuseum wurde den Tieren ein kleines Loch in die Seite geschlitzt und dort Herz und Lunge rausgerissen.
Inka bei der Beschwörung der Sonne
So als eine Art Schlussbouquet wurde nochmals viel Musik gemacht und getanzt und dann wurde der Inka nach einer Ehrenrunde wieder weggetragen.
So eine Busfahrt ist bekanntlich eher ereignislos und langweilig, darum ist es gar nicht schlecht, dass es ab und zu eine Polizeikontrolle gibt. Konkret heisst das, dass der Bus plötzlich hielt, alle mussten aussteigen und sich in eine Schlange stellen, wir glaubten uns schon an der Grenze. Da wurden aber nur kurz die Pässe durchgeblättert, dann stiegen wir wieder ein. Wir waren einigermassen verblüfft ab der Aktion, aber wir verstehen schliesslich auch nicht alles.
Irgendwann kamen wir tatsächlich im Dorf Desaguadero an. Dort fliesst der gleichnamige Fluss durch, der einzige Ausfluss des Lago Titicaca. Und dort verläuft auch die Grenze zu Perú. Also wieder aussteigen und anstehen. Also wir schon recht weit vorne waren, wurden wir darauf aufmerksam gemacht, dass wir in der falschen Schlange stehen, in der nur für Peruaner. Super, vielen Dank für die frühzeitige Information! Wir wechselten zu einer anderen, viel längeren Schlange und waren froh, gerade noch rechtzeitig dort hinübergewechselt zu haben. Kurz darauf kamen wohl etliche Busse an und die Schlange wurde entsprechend länger. Allerdings, Flo fehlte immer noch. Als wir unseren Anstehort gewechselt hatte, wurden unsere Pässe kontrolliert und Flo blieb dort hängen. Anscheinend vermisste der Beamte irgendeinen Stempel und verbrachte bestimmt eine Viertelstunde mit der Suche. Schliesslich gab er auf (es fehlt aber kein Stempel, alles korrekt und vollzählig).
Mit unseren Ausreisestempeln in den Pässen überquerten wir den Fluss und stellten uns in die nächste Schlange, hier für die Einreise nach Perú. Das dauerte auch so seine Weile, glücklicherweise wurde für Ablenkung gesorgt. Die Zollbeamten wollten nämlich unsere Velos sehen. Autsch, wieso denn dass? Wir hatten kein Packband dabei, wenn die Kartons mal offen wären, blieben sie es auch. Ich meldete mich freiwillig, mit den Beamten verhandeln zu gehen. Dort wurde ich erst mal angeschnautzt, ob wir die Velos via Iquique (Zollfreihafen in Chile, von wo aus viele Güter nach Bolivien kommen) eingeführt hätten. Ich erklärte, dass die Velos nicht neu seien und dass wir nicht von Iquique kämen, sondern Argentinien und Chile durchquert hätten. Aha, wir seien mit den Rädern unterwegs? Ja, genau, normalerweie radeln wir, hier nehmen wir den Bus, um etwas Zeit zu sparen. Ok, so sahen die Dinge schon anders aus. Aber ob wir die Velos deklariert hätten? Haben wir nicht, wir hatten das Zollformular nicht geschnallt. Also musste ich unsere Formulare aus dem Stapel aller Formulare unseres Busses raussuchen und das Versäumte nachholen (die ausgefüllten Formulare sind im Bus wieder eingesammelt und alle zusammen dem Zoll übergeben worden). Da nur Gegenstände mit einem Wert von bis zu USD 1'000 zollfrei eingeführt werden dürfen, machte ich auf Understatement und schrieb USD 500 hin, was fraglos akzeptiert wurde. Dazu entschuldigte ich mich schuldbewusst und schon blickten die finsteren Herren wieder freundlicher.
Als wir endlich im Gebäude der Migración angekommen waren, wunderten wir uns auch nicht mehr über die lange Wartezeit. Der obligate Fernseher, der normalerweise in Richtung Wartende zeigt, war den Beamten zugedreht, die vermutlich die halbe Zeit Fussball schauten anstatt Pässe zu stempeln. Wir kriegten aber problemlos die benötigten 90 Tage Aufenthalt und konnten beruhigt wieder in den Bus steigen. Ah ja, wir hatten auch noch unsere Zollformulare zurückgekriegt, schön mit einem Stempel "controlado" versehen. Auch unsere Velos befanden sich jetzt offiziell und legal im Land.
In Cusco angekommen, mussten wir mit unserem Gepäckberg fertigwerden. Zu Dritt sein ist da extrem praktisch. Jemand wartet beim Ort, wo man das Gepäck hinschleppt, jemand schleppt und jemand wartet dort, wo alles ausgeladen worden ist. Irgendwie hatte aber unsere Hostal-Reservation für Cusco nicht geklappt und wir wurden am Terminal nicht abgeholt. In diesem Land ist sowas aber kein Problem, uns wurde gleich ein anderes Hostal angeboten, zum gleichen Preis. Offensichtlich ist die Stadt nicht ganz so voll, wie wir angenommen hatten. Die eingepacken Velos mit dem Taxi zu transportieren, sei ganz bestimmt auch kein Problem. Wir waren hier nicht so zuversichtlich, passiert ist aber unglaublicherweise nichts.
Velotransport auf Taxidach
Da in der Stadt gerade Fiesta war, konnten wir mit dem Taxi nicht zu dem geplanten Hostal fahren. Die Dame schien aber Beziehungen zu diversen Hostales zu haben, jedenfalls konnte sie uns problemlos ein anderes anbieten. Wir könnten am nächsten Morgen ja wechseln. Haben wir auch gemacht, aber nicht zu der empfohlenen Unterkunft direkt an der Plaza de Armas (Fiesta = viel Lärm), sondern zu einem anderen, welches unsere Vermittlerin auch empfehlen konnte. Dort hatten wir auch einen grossen Innenhof, wo Martina und ich gemütlich unsere Velos zusammenbauen konnen. Flo liess seins im Karton, er brauchte es ja nicht mehr und konnte sich so ein weiteres Einpacken für den Flug sparen.
In Cusco war wie gesagt tagelang Fest und die Plaza de Armas permanent verstopft mit Umzügen. Nach einer Weile zuschauen hatte man die Sache aber gesehen. Da kamen alle möglichen Gruppen, die meisten tanzten irgendwie, einige marschierten einfach nur durch die Strassen.
Plaza de Armas, im Vordergrund eine Tanzgruppe, im Hintergrund die Catedrál
Um die architektonischen Künste der Inkas gebührend zu würdigen, besuchten Flo und ich die Ruinen um Cusco. Die grösste davon ist Saqsayhuaman, eine riesige, ehemalige Tempelanlage, die natürlich, wie fast alles hier, von den Spaniern plattgemacht wurde (sie glaubten, es sei eine Festung). Es steht aber noch genug von der auf drei Ebenen gebauten Anlage, um die geniale Bautechnik zu erkennen. Hier wurde kein Mörtel oder andere "Kleber" verwende, die Steine sind einfach auf- und ineinander gestellt. Es sind aber keine Quader, keine zwei Steine haben die gleiche Form. Sie sind aber so perfekt aufeinander abgestimmt und so fein geschliffen, dass dazwischen kein Pflänzen oder Moos gewachsen ist. Gemäss unserem Führer und den Angaben im Inkamuseum wurden diese Steine mit Bronzewerkzeugen zugehauen und danach mit Wasser und Quarzsand geschmirgelt.
Puerta del Sol in Saqsayhuaman
Nach Saqsayhuaman besuchten wir noch die Ruinen Q'enqo, Pukapukara und Tambomachay. Von den ersten beiden ist recht wenig erhalten geblieben. In Q'enqo hatten wir keinen Führer, darum wissen wir auch nicht, was dort mal gestanden hatte. Pukapukara soll anscheinend eine Art Kontrollposten vor Qusco gewesen sein, dort führt auch der Inkatrail nach Machu Picchu durch. Was genau Tambomachay darstellt, wissen wir auch nicht, vermutlich auch eine Art Tempel mit einem noch intakten Wasser-(Bewässerungs-?)System. Dass dort mal ein Tempel gestanden hat, vermuten wir wegen den vier fensterartigen Nischen, in die Kultobjekte gestellt wurden.
Ruinen von Tambomachay
Am folgenden Morgen besuchten wir alle drei das Inkamuseum, wo die gesamte Besiedlungsgeschichte der peruanischen Anden dargestellt ist, die natürlich lange vor den Quechua (Inka wurde nur der Herrscher genannt) beginnt. Während die Anden schon um 5'000 vor Christus bevölkert waren, expandierte der Staat der Quechua erst im 13. bis 16. Jahrhundert. Als die Spanier hier ankamen, reichte das vom Inka kontrollierte Gebiet "Tawantinsuyo", das Reich der vier Regionen, vom Norden Argentiniens und Chiles bis nach Kolumbien und von der Küste bis in den Amazonas. Wie man ein solches Riesenreich mit einer so anspruchsvollen Geographie mit den damals verfügbaren Mitteln regieren konnte (hier gab es keine Pferde, die Leute gingen zu Fuss), ist mir ein Rätsel.
Hier in Cusco wurde der Mercado San Pedro bald zu einem Lieblingsort von Flo und mir. Dort gibt es nämlich Fruchtsäfte, die jeweils gleich nach Wunsch gepresst und gemixt werden. Während wir auf der Lagunenroute rein gar nichts Frisches hatten und uns bald um unsere Vitaminversorgung sorgten, ist das hier das reinste Schlaraffenland. Jeden Tag ein oder zwei verschiedene Säfte nach Wahl, und pro Portion ist das etwa ein halber Liter, der 3.5 bis 4 Soles, also etwa CHF 1.50 kostet. Paradisisch!
Rina, meine Lieblings-Saftfrau
Schon bald aber war Mittwoch und hiess es Abschied nehmen. Dass Flo am 23. Juni nach Hause fliegen würde wusste ich ja, dass aber Martina für nochmals eine bis zwei Wochen zurück nach La Paz wollte, kam als nicht so schöne Überraschung. Nach der 3-wöchigen Pause wäre ich eigentlich motiviert gewesen, bald wieder aufs Velo zu steigen und die über 1'800 km nach Trujillo in Angriff zu nehmen. Nicht so Martina. Flos Reisetempo hat sie anscheinend etwas überfordert und sie braucht eine längere Pause. Also nahm sie, ebenfalls am 23. Juni, ein Bus zurück nach La Paz und ich war mit einem Schlag alleine. Eher frustriert buchte ich eine 4-tägige Tour in den Manú Nationalpark (im Regenwald) und einen Platz für Inti Raymi, das Sonnenfest anlässlich der Wintersonnenwende.
Iti Raymi
Am 24. Juni findet in Cusco das Sonnenfest statt. Ursprünglich fand es natürlich am 21. Juni statt, wurde aber von Feiern für spanische heilige verdrängt und schliesslich erst mal verboten. Seit einigen Jahren gibt es das für die andine Kultur sehr wichtige Fest wieder. Die Quechua verehrten die Sonne als ihren höchsten Gott und der drohte sie zu verlassen. Also musste er während einer grossen Feier vom Inka und seinen höchsten Generälen persönlich angefleht werden, zu seinem Volk zurückzukommen. Was er nach dem 21. Juni ja auch macht.
Ich war also an jenem Morgen Teil einer grösseren "Schafherde", die ihrem Hirten hinterherläuft. Erst ging's zum Sonnentempel in Cusco, wo schon eine riesige Mengschenmenge auf den Beginn der Feierlichkeiten wartete. Zum Glück steht dieser Tempel auf einem Hügel, sonst hätte es dort nicht viel zu sehen gegeben. Nach ein paar Minuten kamen bunt bekleidete Tänzerinnen aus einer Tür und bewegten sich zur Musik eines mitwandernden, hauptsächlich aus diversen Flöten und Trommeln bestehenden Orchesters den Hang herunter. Kaum waren sie unten auf der Wiese angekommen, kam die nächste Gruppe. So ging das eine Weile, jede Gruppe hatte ihren eigenen Tanz und war in andere Farben gekleidet. Unten auf der Wiese gingen die Tänze weiter, ausser einigen sich bewegenden Federn habe ich aber nichts mehr gesehen.
Dann wurde es mit einem Schlag still und oben beim Tempel, ganz in gold, erschien der Inka. Er begrüsste die Sonne auf Quechua und verschwand kurz darauf wieder. Anscheinend wiederholte sich diese Szene später auf der Plaza de Armas, unsere Gruppe ging aber zu unserem wartenden Bus, der uns nach Saqsayhuaman raufbringen sollte. Die Fotos von diesem ersten Teil sind leider aus lichttechnischen Gründen nicht wirklich brauchbar.
Wir fuhren in der Zwischenzeit zu den grossen Tempelruinen hinauf, wo wir anschliessend gute drei Stunden auf unserem Hügel rumhängten und warteten. Mit nur einer knappen Stunde Verspätung erschienen gegen 14 Uhr die ersten farbigen Gruppen wieder. Hier oben nahmen viel mehr Gruppen teil als in der Stadt, nicht nur Tanzgruppen sondern auch Soldaten.
Tänzerinnen beim Einmarsch in Saqsayhuaman
Im Vordergrund eine Gruppe Soldaten, im Hintergrund
eine einmarschierende Gruppe Tänzer/innen
Bestimmt etwa zwanzig Minuten lang war die Fläche von den quirligen Tänzern und Soldaten in Beschlag genommen bis endlich der Inka wieder auftauchte. Anscheinend geht er jeweils nur wenige Schritte, wenn er "weitere Distanzen" zurücklegen muss, wird er getragen. Alle auf der Fläche Anwesenden kauerten sich mit gesenkten Kopf hin und blieben während der ganzen Feier mehr oder weniger so. Auf mich wirkte das Ganze ein Bischen wie bei Asterix und Obelix bei den Ägyptern wenn Kleopatra erscheint.
Die anschliessenden Zeremonien dauerten ziemlich lang und wurden ausschliesslich auf Quechua gehalten, weshalb mir die Details verschlossen blieben (ich habe noch nicht alles nachgelesen). Jedenfalls gab es erst einen Teil wo viel geredet wurde, dann wurde der Sonne Chicha, ein heiliger Drink aus Mais, geopfert. Dann wurden traditionellerweise ein weisses und ein schwarzes Llama geschlachtet, die die Balance von Tag und Nacht darstellen sollen. Hier wurde nur ein schwarzes Llama geopfert, wobei ich den Eindruck hatte, dass nur so getan wurde, als ob. Diese traditionelle Opfer-Schlachtmethode war auch ziemlich krass. Gemäss Inkamuseum wurde den Tieren ein kleines Loch in die Seite geschlitzt und dort Herz und Lunge rausgerissen.
Inka bei der Beschwörung der Sonne
So als eine Art Schlussbouquet wurde nochmals viel Musik gemacht und getanzt und dann wurde der Inka nach einer Ehrenrunde wieder weggetragen.
Samstag, 12. Juni 2010
Warten auf Martinas Ersatzteile
Jetzt haben wir etliche Tage in La Paz verbracht und uns an die riesige, quirrlige und recht überfüllte Stadt gewöhnt. Nach ein paar Tagen haben wir sogar das Parlamentsbegäude gefunden. Was auffällt hier ist, dass bei allen Regierungsgebäuden nicht nur die bolivianische Flagge hängt, sondern auch die Wiphala, die Flagge der Aymara (indigenes Andenvolk). Diese bunte Fahne wird auch als Bandera Andina bezeichnet, als die Fahne aller Indígenas der Anden. Seit 2008 ist sie auch offizielles Symbol des bolivianischen Staates (sagt Wikipedia).
Congreso Nacional mit bolivianischer und indígena Flagge
Dass der Verkehr in La Paz recht chaotisch ist, haben wir glaub' schon erwähnt. Damit die Stadt nicht im Chaos untergeht, gibt es bei manchen Fussgängerstreifen Zebras, die den Autofahrern helfen, bei Rotlicht anzuhalten. Diese fröhlichen Helfer sind, ganz unbolivianisch, überhaupt nicht kamerascheu und tanzen manchmal regelrecht auf der Strasse rum.
Ein paar Tage nach uns ist ein weiteres Schweizer Velofahrerpaar in der Casa de Ciclista angekommen, Janine und Thomas. Wir hatten ihre Blogadresse im Torres del Paine Nationalpark von einem Oestreicherpaar erhalten, wir haben die beiden aber nie persönlich getroffen. Andere Langzeitfahrer zu treffen, ist immer wieder ein Ereignis und Anlass zu längeren Plaudereinheiten. Da die beiden auch in Luisas Haus einquartiert wurden, wurde das gegenseitige Erzählen natuerlich stark vereinfacht.
Da wir über zehn Tage auf Martinas Ersatzteile aus der Schweiz warten mussten, haben wir uns in der Zwischenzeit anderweitig beschäftigt. Wir wohnen hier ja bei Luisa und als Gegenleistung ist es üblich, dass man im Café Chuquiago, dem Zentrum der Casa de Ciclista, hilft, was wir natürlich gerne machten. Und als Christian Hilfe brauchte, um eine Ausstellung von Werken seines Vaters, eines Künstlers, aufzuräumen, waren wir und Ian natürlich mit dabei. Dass diese Übung erst mal eine grössere Lachnummer werden würde, konnte niemand ahnen.
Es begann scheinheilig damit, dass Christian den Schlüssel für den VW Bus, mit dem wir die Bilder transportieren sollten, zuhause vergass. Währende er und Ian den Schlüssel holen gingen, untersuchten Flo, Martina und ich das ehemalige Atelier von Christians Vater. Das Haus ist angeblich höchstens 15 Jahre alt, wir hätten es auf 40-50 geschätzt, so heruntergekommen sieht es aus. Es ist dreistöckig, die Decken bzw. Böden bestehen aber nur aus dünnen Leisten und man fühlt sich herzlich unsicher, wenn man darauf herumspatziert. Das Haus ist vollgestopft mit Bildern und allen möglichen seltsamen Figürchen, die der Künstler geschaffen oder gesammelt hatte.
Ok, Christian wieder da, Ian wieder da, Schlüssel auch da. Gut. Der VW Bus hatte aber schon seit über einem Jahr keinen Auslauf mehr gehabt und alle ausser Christian zweifelten daran, dass der sich je wieder von der Stelle bewegen würde. Aber Christian hat ja einen Jeep mit funktionierender Batterie, also kann man überbrücken. Theoretisch. Aber immer, wenn die Kabel wieder weg waren, starb der Motor wieder. Die Batterien austauschen wollte Christian nicht, weil sich die alte ja wieder aufladen sollte. Was genau er da am Motor rumbastelte, war mir nicht klar, was aber vermutlich damit zusammenhängt, dass ich nichts von Motoren verstehe.
Nach einer kleinen Ewigkeit schaffte Ian es, den Motor zum selbstständigen Laufen zu bringen und Christian kurvte durchs Tor aus dem Garten. Oder zumidest unter den Torbogen und dort krepierte der Motor wieder. Also schoben wir das Büssli an, der Motor würde so schon wieder anspringen. Wir schoben und schoben - zum Glück abwärts - aber der Motor hatte keinen Bock mehr. Also um die Kurve und weiter schieben, voll Chrösti auf die Kreuzung mit einer stärker befahrenen Strasse zu. Dort kam Christian zum Schluss, dass das Problem vermutlich daran liegt, dass kein Benzin mehr im Tank ist:-) Martina und ich stiegen also in das nächste Taxi, fuhren zu einer Tankstelle und brachten den begehrten Saft zum alten VW Bus. Und siehe da, nach einer weiteren Schiebeaktion fuhr der Bus wieder wie von selbst.
Die Galerie befand sich in San Miguel, dem nobelsten Quartier von La Paz. Die Bilder rauszutragen war ja soweit kein Problem, sie sinnvoll ins Büssli zu laden, stellte sich als komplizierter heraus. Die Schnur, mit der die grösseren Werke aufs Dach gebunden wurde, sah für uns auch eher wie ein Geschenkbändli aus. Wundersamerweise ist aber nichts runtergefallen (ausser einem Karton, der sich zur Polsterung dort oben befand) und wir haben es alle geschafft, wieder ins Auto zu steigen. Zurück zum Atelier, alles ausladen und zurück zur Galerie. Die nächste Ladung bestand mehrheitlich aus Drahtfigürchen, die wir zum - ziemlich bonzigen - Haus von Christians Verwandten brachten. Dort wurden wir kurzerhand zum Mittagessen eingeladen, wo es selbstgemachtes Glace zum Dessert gab. Mega fein. Die ganze Aktion, die für den Vormittag geplant gewesen war, dauerte schliesslich bis nach 15 Uhr, aber der Unterhaltungswert war doch deutlich höher gewesen als erwartet. Übrigens: der Bus fährt inzwischen problemlos und ohne anstossen.
Am Tag darauf unternahmen wir eine Touri-Velotour nach Coroico in den Yungas (Subtropen). Nach Coroico gelangt man über die berüchtigte Death Road, eine schmale, angeblich äusserst gefährliche Strasse an steilen Abhängen, die sich aber - dank der neuen, asphaltierten Strasse, die den Verkehr übernimmt - als nicht mal halb so schlimm herausgestellt hat. Eher abenteuerlich waren dafür die Velos unseres Tourenanbieters. Erst kreuzte er eine Stunde später als abgemacht auf, und bevor die Velotour starten konnte, bastelten er und unser Gía (Führer) über eine halbe Stunde an den Velos rum. Natürlich beruhigte uns das nicht gerade. Meine hydraulische Bremse funktionierte dann auch während Stunden nur mehr oder weniger, meistens weniger als mehr. Und das ist nicht wirklich lustig wenn es fast nur bergab geht.
Recht cool fühlte sich hingegen die Vollfederung an, mit der wir über Stock und Stein brettern konnten und kaum durchgeschüttelt wurden. Der erste Teil unserer Tour führte über eine alte, nicht mehr unterhaltene Strasse, wo kein Verkehr herrschte und uns auch keine anderen Velofahrer in die Quere kamen. Landschaftlich war die Region für uns interessant. Das Tal, durch das die Strasse aus La Paz führte, erinnerte uns erst an das Schweizer Hochtal Avers im Herbst, recht eng, kahl und gelb-braun. Weiter oben öffnete sich das Tal, wurde breiter und Martina meinte, es sehe aus wie auf dem Splügen Pass. Ausser, dass auf dem Splügen keine Alpakas weiden.
Je weiter wir auf der anderen Talseite hinunter kamen, desto weniger Ähnlichkeit mit den Schweizer Bergen hatte die Landschaft. Es wurde immer grüner und wärmer und zum ersten Mal seit Wochen sahen wir Blumen! Wir waren richtig fasziniert von all den Büschen mit Blüten, dieser Klimawandel war ein ziemlicher Kulturschock.
Auch herzig waren die kleinen Dörfer, durch die wir durchflitzten. Bei einer schönen steinernen Kirch mussten Martina und ich aber erst mal die Flitzerei stoppen und Fotos machen.
Weiter unten gesellte sich plötzlich ein neues Geräusch zu dem Quitschen und Rattern der Kette. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass ich einen totalen Platten hatte und de facto auf den Felgen fuhr. Das Ungewohnte dabei war, dass ich das Problem nicht selber lösen musste, sondern dem Führer und Jeepfahrer überlassen konnte.
Zwischendurch wurden die Velos wieder auf den Jeep verladen und es ging über einen Hügel zum Beginn der "richtigen" Death Road. Leider befanden wir uns inzwischen in einer dichten Wolkenschicht, die Aussicht in die Abgründe war also erst mal komplett inexistent. Zwischendrin lichteten sich die Wolken und man sah die Strasse, die sich auf der anderen Talseite durchschlängelte, dann war wieder alles dicht. Der Nebel störte uns aber nicht sehr, die Atmosphäre war richtig mystisch, passend zum Ort.
"Aussicht" vom Beginn der Death Road
Die Qualität der Strasse war viel besser als erwartet und wir empfanden sie als überhaupt nicht gefährlich. Klar, neben der Strasse ging es ein paar hundert Meter in die Tiefe, aber wenn man mit gesundem Menschenverstand fuhr, war das kein Problem. Dass es das früher aber war, als da viel Verkehr herrschte und jede Menge schwere Lastwagen durchfuhren, kann man sich leicht vorstellen. Die Strasse ist einspurig mit ein paar Ausweichstellen und ganz gewiss nicht zum Rasen geeignet. An einer Stelle stürzt ein Wasserfall auf die Strasse. Zum Glück ist jetzt Trockenzeit, da ist der Wasserfall eher ein feiner Schleier, wenn man da aber während der Regenzeit durchfährt, wird man vermutlich fast weggeschwemmt.
So fetzten wir mehr oder weniger schnell die Strasse runter, bis wir den nächsten Grund für einen Stopp trafen: Steve, ein walliser Velofahrer, der mit vollem Gepäck und etwas gemütlicher als wir auf dem Weg nach Coroico war. Er wollte in den tiefen Lagen der Yungas ein paar Tage Pause machen und danach einige Berge besteigen. Wir schwatzten eine Weile, verabredeten uns provisorisch für den Abend in Coroico und fuhren weiter.
Death Road in die Yungas
Zuunterst im Tal angekommen, zogen wir erst mal so einiges aus, so warm war es dort (auf ca. 1'200 m.ü.M.). Als wir aber in Coroico (auf ca. 1'700 m.ü.M.) aus dem Jeep ausstiegen, fühlte sich die Luft wieder recht kühl an. Dieses Gefühl von "esistjagarnichtwarmhierunten" wurde durch die - natürlich nur in meinem Fall - kalte Dutsche noch versträrkt. Das Frieren nahm danach im Restaurant mit starkem Durchzug seine Fortsetztung. Dabei wollten wir in die Yungas, um zur Abwechslung mal einen warmen Ort zu finden!
Zurück in La Paz planten wir den nächsten Trip: Per Bus nach Copacabana und Puno am Lago Titicaca. Copacabana ist das Ziel vieler Pilger, da sich dort die berühmte Virgen de Copacabana befindet. Irgendwie haben wir es aber nicht geschafft, die Virgen zu finden, was aber auch nicht unsere erste Priorität war.
Plaza und Kirche von Copacabana
Für uns faszinierender war der Titicacasee, der höchste schiffbare See. Er liegt auf 3'812 m.ü.M., hat eine Fläche von 8'372 m2 und 1'125 km Küstenlinie. Am tiefsten Ort ist er 281 m tief, wobei der Wasserspiegel saisonal stark schwankt. Zur Regenzeit fliessen 26 Flüsse in den See, in der Trockenzeit gerade noch 5. Aus dem See raus fliesst nur ein einziger Fluss, der Río Desaguadero, was auf Deutsch wohl etwa so viel wie "Entwässerungsfluss" bedeutet.
Lago Titicaca und Cordillera Real
Eine der Touristenattraktionen ist die Isla del Sol, die Sonneninsel, deren Nordseite wir von Copacabana aus per Boot in zwei Stunden erreichten. Dort gibt es Tempelruinen aus der Vorinkazeit, einen heiligen Felsen und einen steinernen Gabentisch zu bestaunen. Ausserdem führt ein 8 km langer Wanderweg zum Südteil der Insel, der mit Hostales und Restaurants zugepackt ist. Landschaftlich gleicht die Insel Griechenland, das meint jedenfalls Martina, ich kann's nicht beurteilen, da ich noch nie in Griechenland war. Auf jedenfall ist die Insel zu dieser Jahreszeit bräunlich-gelb, mit grünen Flecken um die Häuser rum. Fast die ganze Insel ist terrassiert und die Terrassen werden auch noch landwirtschaftlich genutzt, die Felder sind jetzt aber alle braun und kahl.
Bucht am Nordteil der Isla del Sol
Nach einer Nacht in harten, schiefen Betten in einem billigen Hostal ohne fliessendem Wasser wollten wir ein Boot zurück nach Copacabana nehmen. Zwanzig Minuten Verspätung ist wohl immer noch pünktlich, was uns (und auch andere Touris) mehr überraschte und nervte, war, dass die Rückfahrt doppelt so teuer war wie die Hinfahrt. Auf meine Frage, wieso das so sei, erhielten wir die ebenso genervte Antwort, dass es in Copacabana eben viel Konkurrenz gebe, hier auf der Insel eben nicht. Ziemliche Abzockerei auf dieser Insel, man muss dort sogar für die Benützung des Wanderweges bezahlen. Einerseits verständlich, alle wollen ein Stück des "Tourismus-Kuchens" abschneiden, andererseits wird's irgendwann nervig.
Die Fahrt nach Puno verlief ereignislos, der Grenzübertritt nach Peru problemlos. Im Bus bekamen wir auch schon ein Hostal angeboten, welches sich als gute Wahl herausstellte. Die Stadt Puno ist an sich nicht weiter aufregend, der Trip zu den Islas Flotantes, den schwimmenden Inseln hingegen war interessant. Von diesen selbstgebauten Inseln gibt es etwa 50 und es leben dort um die 2'000 Menschen, die Uros. Es gab eine kurze Zeitraffer-Vorfürung im Inselnbauen und wir erfuhren, dass man aus jenem Schilf nicht nur Inseln und Boote bauen kann, sondern, dass ein Teil davon sogar essbar ist. Traditionell leben die Inselbewohner vom Fischfang und vom Sammeln von Eiern, dass die Mehrheit aber inzwischen vom Tourismus lebt, hat uns nicht weiter überrascht, auch wir wurden praktisch zum Kauf von Souvenirs genötigt.
Schwimmende Insel mit Souvenirstand
Nach weiteren etwa sechs Stunden Busfahrt kamen wir wieder in La Paz (schon fast "zu Hause") an, wo uns eine schlechte Nachricht erwartete. Ian war auf dem Weg nach Coroico von einem Auto angefahren worden und befand sich im Spital. Sein Zustand war zu jener Zeit noch nicht klar, aber es war von einer Blutung im Gehirn die Rede und alle waren entsprechend beunruhigt. Am nächsten Morgen gingen wir ihn im Spital besuchen und fanden ihn zu unserer Erleichterung bei vollem Bewusstsein und klarem Verstand.
Ian war auf dem Weg nach Coroico auf der neuen Asphaltstrasse, als er wegen herbeirennenden Hunden abbremsen musste und er von einem nachfolgenden Auto, dessen Fahrer ihn schlicht nicht wahrgenommen hatte, gerammt und etliche Meter weit weg geschleudert wurde. Offenbar verlor er nie das Bewusstsein und hatte zum Glück Christians Natelnummer gespeichert und konnte ihn anrufen. Der Fahrer des Unglücksautos war auch so anständig, ihn in ein Spital zu bringen und ein Anderer, der den Unfall gesehen hatte, brachte sein Velo und Gepäck zurück nach La Paz. Inzwischen ist auch ein MRI gemacht worden (ja, sogar das gibt es in Bolivien) und das Blutgerinsel im Gehirn sei so klein, dass es kein Problem sei. Er könne Mittags um ein Uhr das Spital verlassen.
Gleichzeitig mit uns war auch der ältere Herr, der Ian angefahren hatte, zu Besuch. Er wirkte extrem niedergeschlagen und war auch absolut willig, alles zu bezahlen, was bezahlt werden musste. Mit seinem Handy konnten wir Luisa kontaktieren, die ankündigte, mit Christian gegen ein Uhr ins Spital zu kommen und Ian abzuholen. Um ein Uhr war dann aber leider irgend ein Büro geschlossen, wir müssten bis zwei Uhr warten. Luisa und Chrisian gingen inzwischen Ians Velo abholen und wir warteten weiter. Ebenfalls nzwischen verschwand auch der Unfallverursacher wieder, was uns weitere Wartezeiten verursachte. Denn als das besagte Büro wieder geöffnet hatte, stellte sich heraus, dass die Rechnung noch nicht ganz bezahlt war, und Ian könne das Spital erst verlassen, wenn alles bezahlt sei. Um halb vier verliessen wir drei das Spital, da wir noch einige Besorgungen machen mussten. Ian kam am selben Tag tatsächlich noch "frei", der ältere Herr war offenbar zur Bank gegangen um Bargeld zu holen. Als wir von unserer Shoppingtour nach Hause kam, waren alle inklusive Ian da und wir feierten seine Entlassung gebührend mit einem Haufen Spaghetti.
Was ich schon länger mal erwähnen wollte, ist die Art, wie sich die Indígenafrauen hier anziehen und wie sie ihre Kinder transportieren. Während die Männer i.d.R. "normal", d.h. westlich gekleidet sind, bleiben die Frauen ihrem Indígenastil treu. In den Dörfern tun sie das zu fast 100%, in den Städten auch noch zu einem grossen Teil. Diese Tracht besteht aus einem knie- bis knöchellangen Rock, einem - je nach Region und Kälte - wollenen Puli oder Jacke, einem bunten Tuch um die Schultern, hier in La Paz mit langen Fransen, und einem Hut. Das alles bildlich festzuhalten war bisher nicht einfach, da sich die Indígena nicht gerne fotografieren lassen. Sie glauben anscheinend, dass fotografieren die Seele klaut. Anlässlich eines Festes im Dorf Yumani auf der Isla del Sol wurde das aber nicht so eng gesehen, da eh alle Gringos Fotos machten. Das ist nun zwar eine festliche Variante, die Alltagskleider sind dem aber recht ähnlich.
Der andine Kindertransport ist auch immer wieder sehr herzig. Kinderwagen oder moderne Tragevorrichtungen gibt es hier kaum, und wenn, nur in grossen Städten. Viel weiter verbreitet sind quadratische Tücher, in denen die Kinder eingewickelt und auf den Rücken gebunden werden. Wenn sie schlafen, werden sie meist quer gebunden, wenn sie wach sind, aufrecht. Vielleicht liegt es daran, dass man hier so wenige Kinder weinen hört. Sie sind dauernd in Körperkontakt mit den Müttern und wirken meist sehr zufrieden.
Indigena-Familie am Busterminal in Coroico
Gestern sind nun Martinas Ersatzteile tatsaechlich angekommen und heute Nachmittag soll alles montiert werden. Hoffentlich klappt alles, wir haben fuer morgen frueh Bustickets nach Cusco.
An dieser Stelle möchte ich nochmal die Casa de Ciclista hier in La Paz erwähnen, d.h. Chrisian und Luisa. Diese Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft und Einsatz fuer ihre Gäste ist unglaublich. Wir konnten nun über eine Woche fast gratis bei Luisa wohnen, Christian hatte einiges an Umtrieben wegen den Ersatzteilen aus der Schweiz und dann kam noch Ians Unfall dazu, mit diversen Polizei- und anderen Terminen. Und das alles gerade, als Christian einen neuen Job angefangen hat, der ihn momentan noch zusätzlich stresst. Alles kein Problem, die beiden schmeissen dieses Radlerhaus hier mit Herzblut. Vielen, vielen Dank für Eure Hilfe und Euren Einsatz, Christian und Luisa!!!
Falls das noch nicht klar genug war: Alle Velofahrer, die in Bolivien ein Problem haben, hier wird Euch geholfen: Chuquiago Cafe, Linares 903 an der Ecke zu Sagarnaga.
Congreso Nacional mit bolivianischer und indígena Flagge
Dass der Verkehr in La Paz recht chaotisch ist, haben wir glaub' schon erwähnt. Damit die Stadt nicht im Chaos untergeht, gibt es bei manchen Fussgängerstreifen Zebras, die den Autofahrern helfen, bei Rotlicht anzuhalten. Diese fröhlichen Helfer sind, ganz unbolivianisch, überhaupt nicht kamerascheu und tanzen manchmal regelrecht auf der Strasse rum.
Ein paar Tage nach uns ist ein weiteres Schweizer Velofahrerpaar in der Casa de Ciclista angekommen, Janine und Thomas. Wir hatten ihre Blogadresse im Torres del Paine Nationalpark von einem Oestreicherpaar erhalten, wir haben die beiden aber nie persönlich getroffen. Andere Langzeitfahrer zu treffen, ist immer wieder ein Ereignis und Anlass zu längeren Plaudereinheiten. Da die beiden auch in Luisas Haus einquartiert wurden, wurde das gegenseitige Erzählen natuerlich stark vereinfacht.
Da wir über zehn Tage auf Martinas Ersatzteile aus der Schweiz warten mussten, haben wir uns in der Zwischenzeit anderweitig beschäftigt. Wir wohnen hier ja bei Luisa und als Gegenleistung ist es üblich, dass man im Café Chuquiago, dem Zentrum der Casa de Ciclista, hilft, was wir natürlich gerne machten. Und als Christian Hilfe brauchte, um eine Ausstellung von Werken seines Vaters, eines Künstlers, aufzuräumen, waren wir und Ian natürlich mit dabei. Dass diese Übung erst mal eine grössere Lachnummer werden würde, konnte niemand ahnen.
Es begann scheinheilig damit, dass Christian den Schlüssel für den VW Bus, mit dem wir die Bilder transportieren sollten, zuhause vergass. Währende er und Ian den Schlüssel holen gingen, untersuchten Flo, Martina und ich das ehemalige Atelier von Christians Vater. Das Haus ist angeblich höchstens 15 Jahre alt, wir hätten es auf 40-50 geschätzt, so heruntergekommen sieht es aus. Es ist dreistöckig, die Decken bzw. Böden bestehen aber nur aus dünnen Leisten und man fühlt sich herzlich unsicher, wenn man darauf herumspatziert. Das Haus ist vollgestopft mit Bildern und allen möglichen seltsamen Figürchen, die der Künstler geschaffen oder gesammelt hatte.
Ok, Christian wieder da, Ian wieder da, Schlüssel auch da. Gut. Der VW Bus hatte aber schon seit über einem Jahr keinen Auslauf mehr gehabt und alle ausser Christian zweifelten daran, dass der sich je wieder von der Stelle bewegen würde. Aber Christian hat ja einen Jeep mit funktionierender Batterie, also kann man überbrücken. Theoretisch. Aber immer, wenn die Kabel wieder weg waren, starb der Motor wieder. Die Batterien austauschen wollte Christian nicht, weil sich die alte ja wieder aufladen sollte. Was genau er da am Motor rumbastelte, war mir nicht klar, was aber vermutlich damit zusammenhängt, dass ich nichts von Motoren verstehe.
Nach einer kleinen Ewigkeit schaffte Ian es, den Motor zum selbstständigen Laufen zu bringen und Christian kurvte durchs Tor aus dem Garten. Oder zumidest unter den Torbogen und dort krepierte der Motor wieder. Also schoben wir das Büssli an, der Motor würde so schon wieder anspringen. Wir schoben und schoben - zum Glück abwärts - aber der Motor hatte keinen Bock mehr. Also um die Kurve und weiter schieben, voll Chrösti auf die Kreuzung mit einer stärker befahrenen Strasse zu. Dort kam Christian zum Schluss, dass das Problem vermutlich daran liegt, dass kein Benzin mehr im Tank ist:-) Martina und ich stiegen also in das nächste Taxi, fuhren zu einer Tankstelle und brachten den begehrten Saft zum alten VW Bus. Und siehe da, nach einer weiteren Schiebeaktion fuhr der Bus wieder wie von selbst.
Die Galerie befand sich in San Miguel, dem nobelsten Quartier von La Paz. Die Bilder rauszutragen war ja soweit kein Problem, sie sinnvoll ins Büssli zu laden, stellte sich als komplizierter heraus. Die Schnur, mit der die grösseren Werke aufs Dach gebunden wurde, sah für uns auch eher wie ein Geschenkbändli aus. Wundersamerweise ist aber nichts runtergefallen (ausser einem Karton, der sich zur Polsterung dort oben befand) und wir haben es alle geschafft, wieder ins Auto zu steigen. Zurück zum Atelier, alles ausladen und zurück zur Galerie. Die nächste Ladung bestand mehrheitlich aus Drahtfigürchen, die wir zum - ziemlich bonzigen - Haus von Christians Verwandten brachten. Dort wurden wir kurzerhand zum Mittagessen eingeladen, wo es selbstgemachtes Glace zum Dessert gab. Mega fein. Die ganze Aktion, die für den Vormittag geplant gewesen war, dauerte schliesslich bis nach 15 Uhr, aber der Unterhaltungswert war doch deutlich höher gewesen als erwartet. Übrigens: der Bus fährt inzwischen problemlos und ohne anstossen.
Am Tag darauf unternahmen wir eine Touri-Velotour nach Coroico in den Yungas (Subtropen). Nach Coroico gelangt man über die berüchtigte Death Road, eine schmale, angeblich äusserst gefährliche Strasse an steilen Abhängen, die sich aber - dank der neuen, asphaltierten Strasse, die den Verkehr übernimmt - als nicht mal halb so schlimm herausgestellt hat. Eher abenteuerlich waren dafür die Velos unseres Tourenanbieters. Erst kreuzte er eine Stunde später als abgemacht auf, und bevor die Velotour starten konnte, bastelten er und unser Gía (Führer) über eine halbe Stunde an den Velos rum. Natürlich beruhigte uns das nicht gerade. Meine hydraulische Bremse funktionierte dann auch während Stunden nur mehr oder weniger, meistens weniger als mehr. Und das ist nicht wirklich lustig wenn es fast nur bergab geht.
Recht cool fühlte sich hingegen die Vollfederung an, mit der wir über Stock und Stein brettern konnten und kaum durchgeschüttelt wurden. Der erste Teil unserer Tour führte über eine alte, nicht mehr unterhaltene Strasse, wo kein Verkehr herrschte und uns auch keine anderen Velofahrer in die Quere kamen. Landschaftlich war die Region für uns interessant. Das Tal, durch das die Strasse aus La Paz führte, erinnerte uns erst an das Schweizer Hochtal Avers im Herbst, recht eng, kahl und gelb-braun. Weiter oben öffnete sich das Tal, wurde breiter und Martina meinte, es sehe aus wie auf dem Splügen Pass. Ausser, dass auf dem Splügen keine Alpakas weiden.
Je weiter wir auf der anderen Talseite hinunter kamen, desto weniger Ähnlichkeit mit den Schweizer Bergen hatte die Landschaft. Es wurde immer grüner und wärmer und zum ersten Mal seit Wochen sahen wir Blumen! Wir waren richtig fasziniert von all den Büschen mit Blüten, dieser Klimawandel war ein ziemlicher Kulturschock.
Auch herzig waren die kleinen Dörfer, durch die wir durchflitzten. Bei einer schönen steinernen Kirch mussten Martina und ich aber erst mal die Flitzerei stoppen und Fotos machen.
Weiter unten gesellte sich plötzlich ein neues Geräusch zu dem Quitschen und Rattern der Kette. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass ich einen totalen Platten hatte und de facto auf den Felgen fuhr. Das Ungewohnte dabei war, dass ich das Problem nicht selber lösen musste, sondern dem Führer und Jeepfahrer überlassen konnte.
Zwischendurch wurden die Velos wieder auf den Jeep verladen und es ging über einen Hügel zum Beginn der "richtigen" Death Road. Leider befanden wir uns inzwischen in einer dichten Wolkenschicht, die Aussicht in die Abgründe war also erst mal komplett inexistent. Zwischendrin lichteten sich die Wolken und man sah die Strasse, die sich auf der anderen Talseite durchschlängelte, dann war wieder alles dicht. Der Nebel störte uns aber nicht sehr, die Atmosphäre war richtig mystisch, passend zum Ort.
"Aussicht" vom Beginn der Death Road
Die Qualität der Strasse war viel besser als erwartet und wir empfanden sie als überhaupt nicht gefährlich. Klar, neben der Strasse ging es ein paar hundert Meter in die Tiefe, aber wenn man mit gesundem Menschenverstand fuhr, war das kein Problem. Dass es das früher aber war, als da viel Verkehr herrschte und jede Menge schwere Lastwagen durchfuhren, kann man sich leicht vorstellen. Die Strasse ist einspurig mit ein paar Ausweichstellen und ganz gewiss nicht zum Rasen geeignet. An einer Stelle stürzt ein Wasserfall auf die Strasse. Zum Glück ist jetzt Trockenzeit, da ist der Wasserfall eher ein feiner Schleier, wenn man da aber während der Regenzeit durchfährt, wird man vermutlich fast weggeschwemmt.
So fetzten wir mehr oder weniger schnell die Strasse runter, bis wir den nächsten Grund für einen Stopp trafen: Steve, ein walliser Velofahrer, der mit vollem Gepäck und etwas gemütlicher als wir auf dem Weg nach Coroico war. Er wollte in den tiefen Lagen der Yungas ein paar Tage Pause machen und danach einige Berge besteigen. Wir schwatzten eine Weile, verabredeten uns provisorisch für den Abend in Coroico und fuhren weiter.
Death Road in die Yungas
Zuunterst im Tal angekommen, zogen wir erst mal so einiges aus, so warm war es dort (auf ca. 1'200 m.ü.M.). Als wir aber in Coroico (auf ca. 1'700 m.ü.M.) aus dem Jeep ausstiegen, fühlte sich die Luft wieder recht kühl an. Dieses Gefühl von "esistjagarnichtwarmhierunten" wurde durch die - natürlich nur in meinem Fall - kalte Dutsche noch versträrkt. Das Frieren nahm danach im Restaurant mit starkem Durchzug seine Fortsetztung. Dabei wollten wir in die Yungas, um zur Abwechslung mal einen warmen Ort zu finden!
Zurück in La Paz planten wir den nächsten Trip: Per Bus nach Copacabana und Puno am Lago Titicaca. Copacabana ist das Ziel vieler Pilger, da sich dort die berühmte Virgen de Copacabana befindet. Irgendwie haben wir es aber nicht geschafft, die Virgen zu finden, was aber auch nicht unsere erste Priorität war.
Plaza und Kirche von Copacabana
Für uns faszinierender war der Titicacasee, der höchste schiffbare See. Er liegt auf 3'812 m.ü.M., hat eine Fläche von 8'372 m2 und 1'125 km Küstenlinie. Am tiefsten Ort ist er 281 m tief, wobei der Wasserspiegel saisonal stark schwankt. Zur Regenzeit fliessen 26 Flüsse in den See, in der Trockenzeit gerade noch 5. Aus dem See raus fliesst nur ein einziger Fluss, der Río Desaguadero, was auf Deutsch wohl etwa so viel wie "Entwässerungsfluss" bedeutet.
Lago Titicaca und Cordillera Real
Eine der Touristenattraktionen ist die Isla del Sol, die Sonneninsel, deren Nordseite wir von Copacabana aus per Boot in zwei Stunden erreichten. Dort gibt es Tempelruinen aus der Vorinkazeit, einen heiligen Felsen und einen steinernen Gabentisch zu bestaunen. Ausserdem führt ein 8 km langer Wanderweg zum Südteil der Insel, der mit Hostales und Restaurants zugepackt ist. Landschaftlich gleicht die Insel Griechenland, das meint jedenfalls Martina, ich kann's nicht beurteilen, da ich noch nie in Griechenland war. Auf jedenfall ist die Insel zu dieser Jahreszeit bräunlich-gelb, mit grünen Flecken um die Häuser rum. Fast die ganze Insel ist terrassiert und die Terrassen werden auch noch landwirtschaftlich genutzt, die Felder sind jetzt aber alle braun und kahl.
Bucht am Nordteil der Isla del Sol
Nach einer Nacht in harten, schiefen Betten in einem billigen Hostal ohne fliessendem Wasser wollten wir ein Boot zurück nach Copacabana nehmen. Zwanzig Minuten Verspätung ist wohl immer noch pünktlich, was uns (und auch andere Touris) mehr überraschte und nervte, war, dass die Rückfahrt doppelt so teuer war wie die Hinfahrt. Auf meine Frage, wieso das so sei, erhielten wir die ebenso genervte Antwort, dass es in Copacabana eben viel Konkurrenz gebe, hier auf der Insel eben nicht. Ziemliche Abzockerei auf dieser Insel, man muss dort sogar für die Benützung des Wanderweges bezahlen. Einerseits verständlich, alle wollen ein Stück des "Tourismus-Kuchens" abschneiden, andererseits wird's irgendwann nervig.
Die Fahrt nach Puno verlief ereignislos, der Grenzübertritt nach Peru problemlos. Im Bus bekamen wir auch schon ein Hostal angeboten, welches sich als gute Wahl herausstellte. Die Stadt Puno ist an sich nicht weiter aufregend, der Trip zu den Islas Flotantes, den schwimmenden Inseln hingegen war interessant. Von diesen selbstgebauten Inseln gibt es etwa 50 und es leben dort um die 2'000 Menschen, die Uros. Es gab eine kurze Zeitraffer-Vorfürung im Inselnbauen und wir erfuhren, dass man aus jenem Schilf nicht nur Inseln und Boote bauen kann, sondern, dass ein Teil davon sogar essbar ist. Traditionell leben die Inselbewohner vom Fischfang und vom Sammeln von Eiern, dass die Mehrheit aber inzwischen vom Tourismus lebt, hat uns nicht weiter überrascht, auch wir wurden praktisch zum Kauf von Souvenirs genötigt.
Schwimmende Insel mit Souvenirstand
Nach weiteren etwa sechs Stunden Busfahrt kamen wir wieder in La Paz (schon fast "zu Hause") an, wo uns eine schlechte Nachricht erwartete. Ian war auf dem Weg nach Coroico von einem Auto angefahren worden und befand sich im Spital. Sein Zustand war zu jener Zeit noch nicht klar, aber es war von einer Blutung im Gehirn die Rede und alle waren entsprechend beunruhigt. Am nächsten Morgen gingen wir ihn im Spital besuchen und fanden ihn zu unserer Erleichterung bei vollem Bewusstsein und klarem Verstand.
Ian war auf dem Weg nach Coroico auf der neuen Asphaltstrasse, als er wegen herbeirennenden Hunden abbremsen musste und er von einem nachfolgenden Auto, dessen Fahrer ihn schlicht nicht wahrgenommen hatte, gerammt und etliche Meter weit weg geschleudert wurde. Offenbar verlor er nie das Bewusstsein und hatte zum Glück Christians Natelnummer gespeichert und konnte ihn anrufen. Der Fahrer des Unglücksautos war auch so anständig, ihn in ein Spital zu bringen und ein Anderer, der den Unfall gesehen hatte, brachte sein Velo und Gepäck zurück nach La Paz. Inzwischen ist auch ein MRI gemacht worden (ja, sogar das gibt es in Bolivien) und das Blutgerinsel im Gehirn sei so klein, dass es kein Problem sei. Er könne Mittags um ein Uhr das Spital verlassen.
Gleichzeitig mit uns war auch der ältere Herr, der Ian angefahren hatte, zu Besuch. Er wirkte extrem niedergeschlagen und war auch absolut willig, alles zu bezahlen, was bezahlt werden musste. Mit seinem Handy konnten wir Luisa kontaktieren, die ankündigte, mit Christian gegen ein Uhr ins Spital zu kommen und Ian abzuholen. Um ein Uhr war dann aber leider irgend ein Büro geschlossen, wir müssten bis zwei Uhr warten. Luisa und Chrisian gingen inzwischen Ians Velo abholen und wir warteten weiter. Ebenfalls nzwischen verschwand auch der Unfallverursacher wieder, was uns weitere Wartezeiten verursachte. Denn als das besagte Büro wieder geöffnet hatte, stellte sich heraus, dass die Rechnung noch nicht ganz bezahlt war, und Ian könne das Spital erst verlassen, wenn alles bezahlt sei. Um halb vier verliessen wir drei das Spital, da wir noch einige Besorgungen machen mussten. Ian kam am selben Tag tatsächlich noch "frei", der ältere Herr war offenbar zur Bank gegangen um Bargeld zu holen. Als wir von unserer Shoppingtour nach Hause kam, waren alle inklusive Ian da und wir feierten seine Entlassung gebührend mit einem Haufen Spaghetti.
Was ich schon länger mal erwähnen wollte, ist die Art, wie sich die Indígenafrauen hier anziehen und wie sie ihre Kinder transportieren. Während die Männer i.d.R. "normal", d.h. westlich gekleidet sind, bleiben die Frauen ihrem Indígenastil treu. In den Dörfern tun sie das zu fast 100%, in den Städten auch noch zu einem grossen Teil. Diese Tracht besteht aus einem knie- bis knöchellangen Rock, einem - je nach Region und Kälte - wollenen Puli oder Jacke, einem bunten Tuch um die Schultern, hier in La Paz mit langen Fransen, und einem Hut. Das alles bildlich festzuhalten war bisher nicht einfach, da sich die Indígena nicht gerne fotografieren lassen. Sie glauben anscheinend, dass fotografieren die Seele klaut. Anlässlich eines Festes im Dorf Yumani auf der Isla del Sol wurde das aber nicht so eng gesehen, da eh alle Gringos Fotos machten. Das ist nun zwar eine festliche Variante, die Alltagskleider sind dem aber recht ähnlich.
Der andine Kindertransport ist auch immer wieder sehr herzig. Kinderwagen oder moderne Tragevorrichtungen gibt es hier kaum, und wenn, nur in grossen Städten. Viel weiter verbreitet sind quadratische Tücher, in denen die Kinder eingewickelt und auf den Rücken gebunden werden. Wenn sie schlafen, werden sie meist quer gebunden, wenn sie wach sind, aufrecht. Vielleicht liegt es daran, dass man hier so wenige Kinder weinen hört. Sie sind dauernd in Körperkontakt mit den Müttern und wirken meist sehr zufrieden.
Indigena-Familie am Busterminal in Coroico
Gestern sind nun Martinas Ersatzteile tatsaechlich angekommen und heute Nachmittag soll alles montiert werden. Hoffentlich klappt alles, wir haben fuer morgen frueh Bustickets nach Cusco.
An dieser Stelle möchte ich nochmal die Casa de Ciclista hier in La Paz erwähnen, d.h. Chrisian und Luisa. Diese Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft und Einsatz fuer ihre Gäste ist unglaublich. Wir konnten nun über eine Woche fast gratis bei Luisa wohnen, Christian hatte einiges an Umtrieben wegen den Ersatzteilen aus der Schweiz und dann kam noch Ians Unfall dazu, mit diversen Polizei- und anderen Terminen. Und das alles gerade, als Christian einen neuen Job angefangen hat, der ihn momentan noch zusätzlich stresst. Alles kein Problem, die beiden schmeissen dieses Radlerhaus hier mit Herzblut. Vielen, vielen Dank für Eure Hilfe und Euren Einsatz, Christian und Luisa!!!
Falls das noch nicht klar genug war: Alle Velofahrer, die in Bolivien ein Problem haben, hier wird Euch geholfen: Chuquiago Cafe, Linares 903 an der Ecke zu Sagarnaga.
Sonntag, 6. Juni 2010
Altiplano
Also erst mal: Flo und ich pedalten alleine nach La Paz, Martina hat einen Bus genommen, um in La Paz auf ihre Ersatzteile zu warten. Alleine Busfahren geht ja, das Gepäck ausladen ist komplizierter. So wurde ihr im Busterminal in La Paz auch promt die Lenkertasche gestohlen, zum Glück hatte sie ihre wirklich wertvollen Gegenstände im Rucksack.
Wir sind für einmal schneller als gedacht an einem Ort angekommen. Das hat einerseits damit zu tun, dass der Weg kürzer war als gedacht, andererseits, dass wir weniger Gegenwind hatten als gedacht. Und das ist absolut bemerkenswert.
Angeblich sollten wir ja schon seit längerem auf dem Altiplano sein, wobei wir nicht genau wissen, wo das beginnt bzw. aufhört. Auf jeden Fall haben wir das Plano bisher noch nicht gefunden, nur die Alticolinas. Da gibt es zwar seit dem Paso Jama immer wieder mehr oder weniger flache Ebenen, dazwischen aber auch mehr oder wengier steile Pässe. Nach Potosí hat sich das erst mal ein paar Tage so fortgesetzt. Zuerst ging es rasant fast 20 km abwärts, dann auf und ab und auf und ab. Das übliche Spiel.
Da wir nun zum ersten Mal so richtig auf bolivianischen Strasse fuhren, mussten wir erst mal die hier herrschenden Regeln lernen.
Erstens: Autos hupen einen immer an.
Zweitens: Finde heraus, wieso.
Drittens: Falls Du Nr. 2 nicht gelöst hast, mach' Platz und verlasse die Strasse.
Zu Beginn, wo die Strasse noch eher schmal war, war klar, dass zumindest Lastwagen hupten, um einen von der Fahrbahn zu schicken. Da aber auch PWs an völlig übersichtlichen und breiten Stellen hupten, nahmen wir bald mal an, dass das einfach so viel wie "hallo du da" heisst, und wir juckten nicht mehr jedes Mal zur Seite. Natürlich hupt hier auch der Gegenverkehr, häufig von winken begleitet, das ist die einzige glasklare Situation, die man mit Zurückwinken beantworten kann.
Hier begegneten uns auch viele Fussgänger, die ich immer mit "hola, buen día" grüsste. Dass da zurückgegrüsst wird, ist soweit normal. Interessanterweise sind die Frauen aber meistens viel reservierter als die Männer, die manchmal recht begeistert winken und einem Dinge zurufen, die ich jedoch nie verstanden habe. Es hat jedoch immer positiv getönt. Obwohl wir hier in Bolivien in einem sehr armen Land sind, scheint es die wenigsten der Einheimischen zu stören, dass da "reiche Gringos" herumkurven.
Gegen Abend des ersten Tages stellte sich uns eine andere Frage: wo schlafen. In den Dörfern nach Potosí gab es teilweise noch Hospedajes, je länger der Tag dauerte und je weiter wir kamen, umso kleiner wurden die Käfflis und Unterkünfte gab es keine mehr. Auch einen Zeltplatz zu finden, stellte sich als schwierig heraus, da es kaum ebene Flächen gab und wir wenn möglich ausser Sichtweite von Häusern campen wollten. Und die Region ist "dicht" besiedelt, es wohnen fast überall Leute. Schliesslich fanden wir in einem kleinen Flusstal hinter einem Hügeli ein Versteck für die Nacht.
Am nächsten Morgen ging es erst mal wieder bergauf, was hätte man anderes erwarten können. Kurioses Vorkommnis: Mein Tacho hatte irgend einen Schaden weg und zeigte immer so 5-15 km/h zuviel an. Die Kilometeranzeige schien jedoch zu stimmen. Keine Ahnung, womit das zusammenhängen könnte, jedoch war es etwas frustrierend, wenn da 12 km/h angezeigt waren und ich genau wusste, dass ich nicht schneller als mit 5 km/h den Hügel hochkroch. Da wir uns hier aber im Land der Alpakas befanden, bot der Anblick der bunten Tiere ab und zu etwas Abwechslung.
Landschaftlich war der zweite Tag sehr ähnlich wie der erste. Die Strasse führte entlang eines Berghanges, immer wieder durch kleine Dörfer, wo die Hauswände mit Wahlsprüchen vermalt waren. "Evo de nuevo" war etwas vom häufigsten, anscheinend steht die Region um Potosí zu ihrem Präsidenten. Die Dörflis entlang der Strasse scheinen auch mehrheitlich am Stromnetz angeschlossen zu sein und wirken generell ein wenig moderner (z.T. mit verputzten Mauern und Wellblechdächern) als die Siedlungen auf der anderen Talseite, die eher so aussehen, als hätte sich dort in den letzten 500 Jahren kaum was verändert. Die Gebäude sind aus selbstgemachten Lehmziegeln gebaut, die immer die gleiche Farbe haben, wie die Erde rundherum: rot, gelblich, braun oder grau, alle mit Strodächern. Meist erkennt man diese Dörfer aus der Distanz kaum, sie sind perfekt getarnt.
An den Berghängen um die Dörfer herum erstrecken sich meistens dutzende kleine, inzwischen meist kahle Felder. Warum die Leute die Felder nicht in den Talböden anlegen, ist uns nicht ganz klar, auf jeden Fall sehen die Hänge oft aus wie Plätzchendecken. Dass solche hochliegenden Felder nur funktionieren, weil hier alles von Hand bearbeitet wird, ist klar. Der Abtransport der Ernte erfolgt entweder mit Eseln oder auf dem Rücken der Leute.
Das zweite Nachtcamp war weniger gut als das erste. Die Mauer, hinter der wir uns installierten, war nicht sehr hoch und wir mussten erst einige Dornbüschlis roden, bevor wir das Zelt aufstellen konnten. Ob nun irgendjemand wusste, dass wir da waren, oder nicht, passiert ist nichts. Da wir das Höhenprofil der Route hatten, wussten wir, dass wir am nächsten Morgen das "Plano" erreichen sollten. Vorher sollte es jedoch nochmals kräftig aufwärts gehen, hoffentlich ohne den fiesen Gegenwind, der uns am Tag davor das Leben schwer gemacht hatte.
Die Sache mit dem Wind klappte nur teilweise. Dafuer kamen wir in eine landwirtschaftlich immer stärker genutzte Region, wo sich die Felder auch im Tal unten befanden und zum Teil noch nicht abgeerntet waren. Dort sahen wir auch Leute bei der Arbeit. Eine ältere Frau warf irgendwelche Körner in die Luft, so wie man es bei uns bis vor ein paar hundert Jahren auch gemacht hatte, um die Körner von den Schalen zu trennen. Andere Leute liessen Esel im Kreis um einen Haufen Grünzeug laufen. Wozu das genau diente, wissen wir nicht genau, wir nehmen an, so wird gedrescht.
An jenem Nachmittag erreichten wir Challapata, ein kleines Städtchen zwischen Potosí und Oruro. Als wir auf der Suche nach einer Unterkunft umherfuhren, sprangen auf einmal zwei kleine Knirpse auf, liefen uns nach und riefen "Gingo, Gingo!" Dieses in Peru angeblich eher lästige Ritual liess uns hier laut auflachen. Die beiden Winzlinge, vielleicht etwa vier Jahre alt, brachten noch nicht mal ein korrektes R raus. Woher die beiden die Idee dazu hatten, ist uns schleierhaft, hier macht das sonst nämlich niemand. Da wir an jener Hauptstrasse nicht fündig wurden, kehrten wir um, um ins Zentrum zu fahren. Dabei passierten wir unsere beiden kleinen Freunde nochmals und amüsierten uns noch einmal über ihr mit Inbrunste gerufenes "Gingo, Gingo!".
Wir fanden schliesslich die einzige Residencial des Städtchens und genossen erst mal eine warme Dusche. Beim anschliessenden Einkaufen begegnete uns eine der ulkigsten Gestalten bisher: Ramiro, el Conejo, ein etwa 60-jähriger, ehemaliger 800 m-Läufer. Nach längerem Plaudern überredete er uns zum Essen im "Restaurant" seiner Frau, wo er uns Gesellschaft leistete und über sich erzählte. Er hatte im Jahr 1979 an der Universiade in Mexico City teilgenommen als einer von sieben bolivianischen Sportlern und war (zu Recht) extrem stolz darauf. Diese Teilnahme wurde den Bolivianern von der mexikanischen Universität bezahlt, da ihr eigener Staat dafür kein Geld hatte. Er konnte auch verlegen darüber lachen, dass eine Frau damals schneller rannte als er, was ihn sehr sympatisch machte. Da er studium- und arbeitsbedingt immer nachts zwischen 22 und 23 Uhr trainieren mussten, und es auf dieser Höhe um diese Zeit bekanntlich sehr kalt ist, bekam er irgendwann Knieprobleme und musste mit dem Sport aufhören. Nach dem allgemeinen Geschichtenerzählen spielte er uns auf seiner Guitarre vor. Eines der Lieder hatte angeblich Evo Morales vor langer Zeit im selben Lokal vorgetragen. Wir hatten am Abend leider keine Kamera dabei und der Fototermin am nächsten Morgen hatte nicht geklappt.
Die Etappe nach Oruro war wie erwartet flach. Endlich im richtigen platten Altiplano!
Leider wurde mir da schon nach ein paar Stunden langweilig, aber was soll's, wir kamen schnell voran. Und wir stellten sogar einen neuen Rekord auf: 120 km an einem Tag, und das ohne Rückenwind. Allerdings auch ohne Gegenwind. Dass wir in die Nähe einer Grossstadt kamen, merkte man einige Kilometer vor Oruro deutlich. Der Verkehr nahm zu, und der bisher überraschend rücksichtsvolle Fahrstil wurde rauer. Wirklich spannend wurde es am Stadtrand. Dort begann das übliche südamerikanische Chaos mit Autos, Bussen, Lastwagen, Fussgänger und Marktständen. Oruros Strassen sind eng und chronisch verstopft. Mir drehte es fast den Magen um, so voller Abgasen war die Luft. Dank der Hilfe eines netten Einheimischen fanden wir aber die schon vorher im Buch ausgewählte Residencial innert nützlicher Frist (d.h. bei Tageslicht).
Oruro wird im Bikebuch als eher bedrückende, sterbende Minenstadt beschrieben. Wir haben die Stadt als quirrlig und lebendig kennen gelernt. Zu unserer Überraschung fand an jenem Abend ein langer Umzug mit viel Musik statt, der sich als 25-jähriges Jubiläum des Collegios Comibol herausgestellt hat. Und da feierten die anderen Schulen der Stadt mit und blockierten laut musizierend das ganze Zentrum.
Den richtigen Weg aus der Stadt heraus zu finden, war nicht ganz einfach, da es keine Strassenschilder gibt. Wir schafften es aber tatsächlich, die letzten Kilometer vorbei an Baustellen, die zwischendurch als Müllhalden verwendet werden. Wir fanden das wiederlich, aber die Schweine und Hunde, die dort auf Futtersuche waren, fanden es wohl praktisch. Viel passierte an jenem Tag nicht, es war mehrheitlich platt, abgesehen von ein paar kleineren Wellen in der Landschaft. Llamas gab es seit Challapata kaum mehr, dafür wieder viele Schafe und Rinder. Gegen 17 Uhr kamen wir in einem Dorf mit Hospedaje an, da wir aber unser Tagessoll von etwa 90 km noch nicht erreicht hatten, fuhren wir weiter in der Hoffnung, im nächsten Dorf, das immerhin auf der Karte verzeichnet war, was zu finden. Fehlanzeige, zwei Dörfer weiter soll es angeblich etwas geben. So weit wollten wir aber nun auch nicht mehr. Ein paar Kilometer weiter fanden wir einen brauchbaren Platz hinter einer Backsteinmauer, die eine Art Betonbühne davor hatte. Keine Ahnung, was das war, aber die Mauer bot Sichtschutz zur Strasse. Bis es dunkel wurde, spatzierten eine Schafherde auf dem Heimweg und andere Leute mit Tieren vorbei, es schien sich jedoch niemand an unserer Anwesenheit zu stören. Zur Sicherheit schlossen wir die Velos ans Zelt an, es versuchte jedoch niemand, irgend etwas zu klauen.
Nach einem weiteren ereignislosen, verkehrsreichen Tag fuhren wir in Calamarca ein. Das ist eine weitere kleine hübsche Siedlung and der Strasse, gemäss Bikebuch mit Unterkunft. In der Realität gab es die aber leider nicht, wie uns widerholt bestätigt wurde. Wir sollten zum Haus des Pfarrers, dort gäbe es eine Art Quartier. Das war zwar nur ein leerer Raum und ohne Fenster, unsere Ansprüche waren aber nicht hoch und eine Alternative hatten wir eh nicht. Dazu war die Übernachtung gratis, contribución voluntario, man konnte freiwillig etwas bezahlen, für den Strom (es gab eine Lampe). Haben wir natürlich gemacht.
Am Abend erhielten wir noch ein SMS von Martina, wir sollen tags darauf früh aufstehen, sie warte in La Paz mit einem Barbeque auf uns. Wir wunderten uns zwar noch, wo sie denn wohnte, stellten aber den Wecker auf 5.30 Uhr. Wir hatten immerhin noch 60 km vor uns und mussten dann Martina in einer riesengrossen, unbekannten und chaotischen Stadt finden.
Die ersten Hälfte der Strecke war nicht sonderlich aufregend, das Gleiche wie in den Tagen zuvor, ausser immer dichter bewohnt. Dann standen wir auf einer kleinen Anhöhe und schauten auf El Alto und die dahinterliegende Smogschicht hinunter. Und da wollen wir wirklich hin. Flo meinte, nein, aber wir müssten trotzdem gehen.
Nach einer Weile in El Alto wurde es anspruchsvoller. Die Kleinbusse, die den örtlichen ÖV darstellen, wurden immer mehr und mehr. Die halten ohne Warnung am Strassenrand an und fahren ebenso ohne Warnung wieder ab. Und da wir, immer möglichst korrekt, am rechten Strassenrand fahren, schnitten die uns dauernd den Weg ab, bremsten uns aus und nervten langsam aber sicher gewaltig. Je dichter wir ans Zentrum von El Alto kamen, umso absurder wurde der Minibusverkehr. Die Strasse war dreispurig und komplett verstopft von haltenden Bussen. Am Strassenrand befanden sich Geschäfte, die mehrheitlich mit Autos zu tun hatten, dazu Marktstände, die alles mögliche und unmögliche anboten. Zwischen all den Büsslis drängten sich natürlich Leute durch, die ein- und aussteigen wollten. Das dauernde Gehupe muss wohl kaum mehr erwähnt werden.
Nach eineinhalb Stunden erreichten wir die Mautstelle vor der Autobahn, die ins Zentrum von La Paz hinunterführt. Da wir noch nie Maut bezahlen mussten, fuhren wir bei einer geschlossenen Spur durch und bemerkten gerade noch knapp das "No bicicletas"-Schild. Zu spät, wir sind schon drin. Etwas weiter unten gab es am Strassenrand einen Mirador, von wo aus man eine spektakuläre Sicht auf La Paz hat.
La Paz mit Cerro Illimani im Hintergrund
Und dann ab durch die Mitte. Bzw. natürlich wieder brav am rechten Strassenrand auf einer kaum benutzten Spur, die möglicherweise eine Art Pannenstreifen darstellt und ganz schön uneben und holprig war. Logischerweise gibt es hier auch entlang der Autobahn Bushaltestellen. Und Passerellen zu den angrenzenden Quartieren. Und dort, wo es keine Passrelle gibt, latschen die Leute halt quer über die Strasse. Klar, wie sollte man sonst zur Haltestelle kommen? Wobei Haltestelle sowieso relativ ist, die Busse halten einfach dort, wo Leute stehen und winken.
Aber auch der Begriff Autobahn ist relativ. Dort gingen nämlich auch Leute spatzieren und joggen und irgendwo an der Böschung hat ein Feuer gebrannt. Dass da zwei illegale Velofahrer durchflitzten, scheint niemanden gewundert zu haben.
Im Zentrum von La Paz angekommen, wurde es erst richtig unterhaltsam. Dank der Hilfe einer jungen Dame fanden wir das Touri-Office an der Plaza del Estudiante. Schlauerweise ist das Büro aber samstags und sonntags geschlossen. So fragten wir halt die dort herumstehenden Polizisten nach der Adresse, die uns Martina durchgegeben hatten. Und erhielten die Antwort ohne dafür bezahlen zu müssen! Immer geradeaus auf der grossen Avenida 6 de Agosto. Natürlich war das Chaos im Zentrum nicht kleiner als in El Alto, Minibusse hier, Minibusse dort und alle halten, wo es ihnen gerade passt. Also verkehrsorganisatorisch hat La Paz noch viel Potenzial! Aber irgendwie kamen wir vorwärts und nach der rasanten Abfahrt von El Alto ging es jetzt nochmals fetzig bergab bis ins Quartier Obrajes. Dort suchten wir nochmals recht lange bis wir die gewünschte Adresse fanden. Das Barbeque war gerade erst in den ersten Vorbereitungen.
Aber wer sind die Leute, bei denen sich Martina einquartiert hatte? Luisa und Chrisian führen hier in La Paz eine Casa de Ciclista mit Internetcafé und kleinem Restaurant. Normalerweise haben Casas de Ciclistas gratis Unterkunft für Velofahrer, hier gibt es drei Familien, die Tourenfahrer aufnehmen. Nicht ganz, aber fast gratis. Da sind wir nun auch und versuchen, uns ein Bild dieser Megastadt zu machen und nötige Besorgungen wie z.B. neue Rückspiegel zu machen.
Wir sind für einmal schneller als gedacht an einem Ort angekommen. Das hat einerseits damit zu tun, dass der Weg kürzer war als gedacht, andererseits, dass wir weniger Gegenwind hatten als gedacht. Und das ist absolut bemerkenswert.
Angeblich sollten wir ja schon seit längerem auf dem Altiplano sein, wobei wir nicht genau wissen, wo das beginnt bzw. aufhört. Auf jeden Fall haben wir das Plano bisher noch nicht gefunden, nur die Alticolinas. Da gibt es zwar seit dem Paso Jama immer wieder mehr oder weniger flache Ebenen, dazwischen aber auch mehr oder wengier steile Pässe. Nach Potosí hat sich das erst mal ein paar Tage so fortgesetzt. Zuerst ging es rasant fast 20 km abwärts, dann auf und ab und auf und ab. Das übliche Spiel.
Da wir nun zum ersten Mal so richtig auf bolivianischen Strasse fuhren, mussten wir erst mal die hier herrschenden Regeln lernen.
Erstens: Autos hupen einen immer an.
Zweitens: Finde heraus, wieso.
Drittens: Falls Du Nr. 2 nicht gelöst hast, mach' Platz und verlasse die Strasse.
Zu Beginn, wo die Strasse noch eher schmal war, war klar, dass zumindest Lastwagen hupten, um einen von der Fahrbahn zu schicken. Da aber auch PWs an völlig übersichtlichen und breiten Stellen hupten, nahmen wir bald mal an, dass das einfach so viel wie "hallo du da" heisst, und wir juckten nicht mehr jedes Mal zur Seite. Natürlich hupt hier auch der Gegenverkehr, häufig von winken begleitet, das ist die einzige glasklare Situation, die man mit Zurückwinken beantworten kann.
Hier begegneten uns auch viele Fussgänger, die ich immer mit "hola, buen día" grüsste. Dass da zurückgegrüsst wird, ist soweit normal. Interessanterweise sind die Frauen aber meistens viel reservierter als die Männer, die manchmal recht begeistert winken und einem Dinge zurufen, die ich jedoch nie verstanden habe. Es hat jedoch immer positiv getönt. Obwohl wir hier in Bolivien in einem sehr armen Land sind, scheint es die wenigsten der Einheimischen zu stören, dass da "reiche Gringos" herumkurven.
Gegen Abend des ersten Tages stellte sich uns eine andere Frage: wo schlafen. In den Dörfern nach Potosí gab es teilweise noch Hospedajes, je länger der Tag dauerte und je weiter wir kamen, umso kleiner wurden die Käfflis und Unterkünfte gab es keine mehr. Auch einen Zeltplatz zu finden, stellte sich als schwierig heraus, da es kaum ebene Flächen gab und wir wenn möglich ausser Sichtweite von Häusern campen wollten. Und die Region ist "dicht" besiedelt, es wohnen fast überall Leute. Schliesslich fanden wir in einem kleinen Flusstal hinter einem Hügeli ein Versteck für die Nacht.
Am nächsten Morgen ging es erst mal wieder bergauf, was hätte man anderes erwarten können. Kurioses Vorkommnis: Mein Tacho hatte irgend einen Schaden weg und zeigte immer so 5-15 km/h zuviel an. Die Kilometeranzeige schien jedoch zu stimmen. Keine Ahnung, womit das zusammenhängen könnte, jedoch war es etwas frustrierend, wenn da 12 km/h angezeigt waren und ich genau wusste, dass ich nicht schneller als mit 5 km/h den Hügel hochkroch. Da wir uns hier aber im Land der Alpakas befanden, bot der Anblick der bunten Tiere ab und zu etwas Abwechslung.
Landschaftlich war der zweite Tag sehr ähnlich wie der erste. Die Strasse führte entlang eines Berghanges, immer wieder durch kleine Dörfer, wo die Hauswände mit Wahlsprüchen vermalt waren. "Evo de nuevo" war etwas vom häufigsten, anscheinend steht die Region um Potosí zu ihrem Präsidenten. Die Dörflis entlang der Strasse scheinen auch mehrheitlich am Stromnetz angeschlossen zu sein und wirken generell ein wenig moderner (z.T. mit verputzten Mauern und Wellblechdächern) als die Siedlungen auf der anderen Talseite, die eher so aussehen, als hätte sich dort in den letzten 500 Jahren kaum was verändert. Die Gebäude sind aus selbstgemachten Lehmziegeln gebaut, die immer die gleiche Farbe haben, wie die Erde rundherum: rot, gelblich, braun oder grau, alle mit Strodächern. Meist erkennt man diese Dörfer aus der Distanz kaum, sie sind perfekt getarnt.
An den Berghängen um die Dörfer herum erstrecken sich meistens dutzende kleine, inzwischen meist kahle Felder. Warum die Leute die Felder nicht in den Talböden anlegen, ist uns nicht ganz klar, auf jeden Fall sehen die Hänge oft aus wie Plätzchendecken. Dass solche hochliegenden Felder nur funktionieren, weil hier alles von Hand bearbeitet wird, ist klar. Der Abtransport der Ernte erfolgt entweder mit Eseln oder auf dem Rücken der Leute.
Das zweite Nachtcamp war weniger gut als das erste. Die Mauer, hinter der wir uns installierten, war nicht sehr hoch und wir mussten erst einige Dornbüschlis roden, bevor wir das Zelt aufstellen konnten. Ob nun irgendjemand wusste, dass wir da waren, oder nicht, passiert ist nichts. Da wir das Höhenprofil der Route hatten, wussten wir, dass wir am nächsten Morgen das "Plano" erreichen sollten. Vorher sollte es jedoch nochmals kräftig aufwärts gehen, hoffentlich ohne den fiesen Gegenwind, der uns am Tag davor das Leben schwer gemacht hatte.
Die Sache mit dem Wind klappte nur teilweise. Dafuer kamen wir in eine landwirtschaftlich immer stärker genutzte Region, wo sich die Felder auch im Tal unten befanden und zum Teil noch nicht abgeerntet waren. Dort sahen wir auch Leute bei der Arbeit. Eine ältere Frau warf irgendwelche Körner in die Luft, so wie man es bei uns bis vor ein paar hundert Jahren auch gemacht hatte, um die Körner von den Schalen zu trennen. Andere Leute liessen Esel im Kreis um einen Haufen Grünzeug laufen. Wozu das genau diente, wissen wir nicht genau, wir nehmen an, so wird gedrescht.
An jenem Nachmittag erreichten wir Challapata, ein kleines Städtchen zwischen Potosí und Oruro. Als wir auf der Suche nach einer Unterkunft umherfuhren, sprangen auf einmal zwei kleine Knirpse auf, liefen uns nach und riefen "Gingo, Gingo!" Dieses in Peru angeblich eher lästige Ritual liess uns hier laut auflachen. Die beiden Winzlinge, vielleicht etwa vier Jahre alt, brachten noch nicht mal ein korrektes R raus. Woher die beiden die Idee dazu hatten, ist uns schleierhaft, hier macht das sonst nämlich niemand. Da wir an jener Hauptstrasse nicht fündig wurden, kehrten wir um, um ins Zentrum zu fahren. Dabei passierten wir unsere beiden kleinen Freunde nochmals und amüsierten uns noch einmal über ihr mit Inbrunste gerufenes "Gingo, Gingo!".
Wir fanden schliesslich die einzige Residencial des Städtchens und genossen erst mal eine warme Dusche. Beim anschliessenden Einkaufen begegnete uns eine der ulkigsten Gestalten bisher: Ramiro, el Conejo, ein etwa 60-jähriger, ehemaliger 800 m-Läufer. Nach längerem Plaudern überredete er uns zum Essen im "Restaurant" seiner Frau, wo er uns Gesellschaft leistete und über sich erzählte. Er hatte im Jahr 1979 an der Universiade in Mexico City teilgenommen als einer von sieben bolivianischen Sportlern und war (zu Recht) extrem stolz darauf. Diese Teilnahme wurde den Bolivianern von der mexikanischen Universität bezahlt, da ihr eigener Staat dafür kein Geld hatte. Er konnte auch verlegen darüber lachen, dass eine Frau damals schneller rannte als er, was ihn sehr sympatisch machte. Da er studium- und arbeitsbedingt immer nachts zwischen 22 und 23 Uhr trainieren mussten, und es auf dieser Höhe um diese Zeit bekanntlich sehr kalt ist, bekam er irgendwann Knieprobleme und musste mit dem Sport aufhören. Nach dem allgemeinen Geschichtenerzählen spielte er uns auf seiner Guitarre vor. Eines der Lieder hatte angeblich Evo Morales vor langer Zeit im selben Lokal vorgetragen. Wir hatten am Abend leider keine Kamera dabei und der Fototermin am nächsten Morgen hatte nicht geklappt.
Die Etappe nach Oruro war wie erwartet flach. Endlich im richtigen platten Altiplano!
Leider wurde mir da schon nach ein paar Stunden langweilig, aber was soll's, wir kamen schnell voran. Und wir stellten sogar einen neuen Rekord auf: 120 km an einem Tag, und das ohne Rückenwind. Allerdings auch ohne Gegenwind. Dass wir in die Nähe einer Grossstadt kamen, merkte man einige Kilometer vor Oruro deutlich. Der Verkehr nahm zu, und der bisher überraschend rücksichtsvolle Fahrstil wurde rauer. Wirklich spannend wurde es am Stadtrand. Dort begann das übliche südamerikanische Chaos mit Autos, Bussen, Lastwagen, Fussgänger und Marktständen. Oruros Strassen sind eng und chronisch verstopft. Mir drehte es fast den Magen um, so voller Abgasen war die Luft. Dank der Hilfe eines netten Einheimischen fanden wir aber die schon vorher im Buch ausgewählte Residencial innert nützlicher Frist (d.h. bei Tageslicht).
Oruro wird im Bikebuch als eher bedrückende, sterbende Minenstadt beschrieben. Wir haben die Stadt als quirrlig und lebendig kennen gelernt. Zu unserer Überraschung fand an jenem Abend ein langer Umzug mit viel Musik statt, der sich als 25-jähriges Jubiläum des Collegios Comibol herausgestellt hat. Und da feierten die anderen Schulen der Stadt mit und blockierten laut musizierend das ganze Zentrum.
Den richtigen Weg aus der Stadt heraus zu finden, war nicht ganz einfach, da es keine Strassenschilder gibt. Wir schafften es aber tatsächlich, die letzten Kilometer vorbei an Baustellen, die zwischendurch als Müllhalden verwendet werden. Wir fanden das wiederlich, aber die Schweine und Hunde, die dort auf Futtersuche waren, fanden es wohl praktisch. Viel passierte an jenem Tag nicht, es war mehrheitlich platt, abgesehen von ein paar kleineren Wellen in der Landschaft. Llamas gab es seit Challapata kaum mehr, dafür wieder viele Schafe und Rinder. Gegen 17 Uhr kamen wir in einem Dorf mit Hospedaje an, da wir aber unser Tagessoll von etwa 90 km noch nicht erreicht hatten, fuhren wir weiter in der Hoffnung, im nächsten Dorf, das immerhin auf der Karte verzeichnet war, was zu finden. Fehlanzeige, zwei Dörfer weiter soll es angeblich etwas geben. So weit wollten wir aber nun auch nicht mehr. Ein paar Kilometer weiter fanden wir einen brauchbaren Platz hinter einer Backsteinmauer, die eine Art Betonbühne davor hatte. Keine Ahnung, was das war, aber die Mauer bot Sichtschutz zur Strasse. Bis es dunkel wurde, spatzierten eine Schafherde auf dem Heimweg und andere Leute mit Tieren vorbei, es schien sich jedoch niemand an unserer Anwesenheit zu stören. Zur Sicherheit schlossen wir die Velos ans Zelt an, es versuchte jedoch niemand, irgend etwas zu klauen.
Nach einem weiteren ereignislosen, verkehrsreichen Tag fuhren wir in Calamarca ein. Das ist eine weitere kleine hübsche Siedlung and der Strasse, gemäss Bikebuch mit Unterkunft. In der Realität gab es die aber leider nicht, wie uns widerholt bestätigt wurde. Wir sollten zum Haus des Pfarrers, dort gäbe es eine Art Quartier. Das war zwar nur ein leerer Raum und ohne Fenster, unsere Ansprüche waren aber nicht hoch und eine Alternative hatten wir eh nicht. Dazu war die Übernachtung gratis, contribución voluntario, man konnte freiwillig etwas bezahlen, für den Strom (es gab eine Lampe). Haben wir natürlich gemacht.
Am Abend erhielten wir noch ein SMS von Martina, wir sollen tags darauf früh aufstehen, sie warte in La Paz mit einem Barbeque auf uns. Wir wunderten uns zwar noch, wo sie denn wohnte, stellten aber den Wecker auf 5.30 Uhr. Wir hatten immerhin noch 60 km vor uns und mussten dann Martina in einer riesengrossen, unbekannten und chaotischen Stadt finden.
Die ersten Hälfte der Strecke war nicht sonderlich aufregend, das Gleiche wie in den Tagen zuvor, ausser immer dichter bewohnt. Dann standen wir auf einer kleinen Anhöhe und schauten auf El Alto und die dahinterliegende Smogschicht hinunter. Und da wollen wir wirklich hin. Flo meinte, nein, aber wir müssten trotzdem gehen.
Nach einer Weile in El Alto wurde es anspruchsvoller. Die Kleinbusse, die den örtlichen ÖV darstellen, wurden immer mehr und mehr. Die halten ohne Warnung am Strassenrand an und fahren ebenso ohne Warnung wieder ab. Und da wir, immer möglichst korrekt, am rechten Strassenrand fahren, schnitten die uns dauernd den Weg ab, bremsten uns aus und nervten langsam aber sicher gewaltig. Je dichter wir ans Zentrum von El Alto kamen, umso absurder wurde der Minibusverkehr. Die Strasse war dreispurig und komplett verstopft von haltenden Bussen. Am Strassenrand befanden sich Geschäfte, die mehrheitlich mit Autos zu tun hatten, dazu Marktstände, die alles mögliche und unmögliche anboten. Zwischen all den Büsslis drängten sich natürlich Leute durch, die ein- und aussteigen wollten. Das dauernde Gehupe muss wohl kaum mehr erwähnt werden.
Nach eineinhalb Stunden erreichten wir die Mautstelle vor der Autobahn, die ins Zentrum von La Paz hinunterführt. Da wir noch nie Maut bezahlen mussten, fuhren wir bei einer geschlossenen Spur durch und bemerkten gerade noch knapp das "No bicicletas"-Schild. Zu spät, wir sind schon drin. Etwas weiter unten gab es am Strassenrand einen Mirador, von wo aus man eine spektakuläre Sicht auf La Paz hat.
La Paz mit Cerro Illimani im Hintergrund
Und dann ab durch die Mitte. Bzw. natürlich wieder brav am rechten Strassenrand auf einer kaum benutzten Spur, die möglicherweise eine Art Pannenstreifen darstellt und ganz schön uneben und holprig war. Logischerweise gibt es hier auch entlang der Autobahn Bushaltestellen. Und Passerellen zu den angrenzenden Quartieren. Und dort, wo es keine Passrelle gibt, latschen die Leute halt quer über die Strasse. Klar, wie sollte man sonst zur Haltestelle kommen? Wobei Haltestelle sowieso relativ ist, die Busse halten einfach dort, wo Leute stehen und winken.
Aber auch der Begriff Autobahn ist relativ. Dort gingen nämlich auch Leute spatzieren und joggen und irgendwo an der Böschung hat ein Feuer gebrannt. Dass da zwei illegale Velofahrer durchflitzten, scheint niemanden gewundert zu haben.
Im Zentrum von La Paz angekommen, wurde es erst richtig unterhaltsam. Dank der Hilfe einer jungen Dame fanden wir das Touri-Office an der Plaza del Estudiante. Schlauerweise ist das Büro aber samstags und sonntags geschlossen. So fragten wir halt die dort herumstehenden Polizisten nach der Adresse, die uns Martina durchgegeben hatten. Und erhielten die Antwort ohne dafür bezahlen zu müssen! Immer geradeaus auf der grossen Avenida 6 de Agosto. Natürlich war das Chaos im Zentrum nicht kleiner als in El Alto, Minibusse hier, Minibusse dort und alle halten, wo es ihnen gerade passt. Also verkehrsorganisatorisch hat La Paz noch viel Potenzial! Aber irgendwie kamen wir vorwärts und nach der rasanten Abfahrt von El Alto ging es jetzt nochmals fetzig bergab bis ins Quartier Obrajes. Dort suchten wir nochmals recht lange bis wir die gewünschte Adresse fanden. Das Barbeque war gerade erst in den ersten Vorbereitungen.
Aber wer sind die Leute, bei denen sich Martina einquartiert hatte? Luisa und Chrisian führen hier in La Paz eine Casa de Ciclista mit Internetcafé und kleinem Restaurant. Normalerweise haben Casas de Ciclistas gratis Unterkunft für Velofahrer, hier gibt es drei Familien, die Tourenfahrer aufnehmen. Nicht ganz, aber fast gratis. Da sind wir nun auch und versuchen, uns ein Bild dieser Megastadt zu machen und nötige Besorgungen wie z.B. neue Rückspiegel zu machen.
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